Samstag, 27. Dezember 2008

Nachweihnachtsgedanken

Das Schöne an Weihnachten ist, dass man wieder Radio hören kann, wenn es vorbei ist. Es sei denn, man wohnt im Einflussbereich des Hessischen Rundfunks; den kann man nie hören. Und jetzt wurde beim HR auch noch „Der Ball ist rund“ abgewickelt. Soll eine gute Musiksendung gewesen sein. Ich habe sie nie gehört, weil ich den Hessischen Rundfunk erst gar nicht in meine Programmliste aufgenommen habe.
Heute ist der zweite Weihnachtsfeiertag, es flaut also ab. Was im Radio läuft, weiß ich nicht. Ich höre John Zorn, The Dreamers. Eigentlich auch eine schöne Weihnachtsplatte, wenngleich John Zorn sicher nicht auf die Idee käme, eine Weihnachtsplatte aufzunehmen, obwohl man ihm wahrlich alles zutrauen kann.
Ich besitze tatsächlich auch eine Weihnachts-CD, Chet Baker, Silent Night. Wurde mir mal, mitten im Sommer, von einer Freundin geschenkt. Eigentlich ist sie ganz nett, also die Freundin. Dieses Jahr habe ich sie nicht mitgenommen zu meinen Eltern, also die CD. Nicht um meine Eltern zu schonen (sie haben die 80 schon überschritten und wurden ein bisschen nervös, als ich erstmals zu Weihnachten die Chet Baker CD auflegte), sondern weil mein Bruder sich letztes Jahr zur gleichen Zeit eine Kopie davon gemacht hat. Er hatte sie dabei, aber der CD-Spieler meiner Eltern (Yamaha) wollte sie nicht erkennen und daher auch nicht abspielen. Aber wir mussten natürlich nicht ohne Weihnachtsmusik auskommen. Mein Vater besitzt selbstverständlich eine CD mit Weihnachtsliedern. Klassische Lieder in einer klassischen Interpretation, mit Männerchor und Orchester und allem was dazu gehört. Das war schön. Er bevorzugte „Oh, Du Fröhliche“, mir ist „Stille Nacht“ lieber. Vielleicht auch wegen Chet Baker.
Jeder Hansel, der ein Mikrophon, eine Gitarre, oder sonst ein Instrument, halten kann, nimmt eine Weihnachtsplatte auf, alle Jahre wieder. Das Zeug wird dann ab Anfang Oktober rauf und runter gedudelt. Selbst der olle Elvis wurde reanimiert. Ihm wurden irgendwelche Hupfdohlen an die Seite gestellt, um mit dem Untoten Weihnachtslieder zu singen. Ich habe ein oder zwei davon gehört, es war das Grauen. Ich finde ja Elvis alleine schon grausam genug, aber das haute dem Baum die Spitze weg. Wenigstens Sonic Youth hat noch nie eine Weihnachtsplatte aufgenommen.
Nein, ich habe außer Chet Baker noch ein Weihnachtslied im Regal. John Lennons „Oh This Is Christmas“. Aber nicht mal das habe ich mir angetan, obwohl es ja schon ein schönes Liedchen ist. Aber es gibt bessere Weihnachtslieder von John Lennon. Sie heißen „Give Peace A Chance“ und „Imagine“. Wäre ich über Weihnachten in New York gewesen, ich hätte am John Lennon Memorial „Strawberry Fields“ im Central Park eine Kerze angezündet.
Statt dessen hocke ich zu hause und sinniere, ob dieses Weihnachten anders war als die anderen Weihnachten. Das traditionelle Weihnachtsessen am 24.12., gepökelte Rinderzunge mit Kartoffelsalat war gut, sehr gut sogar. Besser als letztes Jahr. Und die Kekse meiner Mutter waren auch wieder vom Feinsten. Es gab sogar einen richtigen, kleinen, lebendigen Weihnachtsbaum. Im Topf, mit Wurzeln und Erde und richtigen Kerzen. Gut, wir hatten keinen Chet Baker, aber dafür Männerchöre. Und ich habe John Zorn, The Dreamers. Träumen ist was Feines zu Weihnachten. Besonders wenn dieses Träumen von einem der besten Gitarristen der Welt begleitet wird, Marc Ribot. Aber der ist nun mal Jude wie John Zorn auch. Man sollte zur Weihnachtszeit am besten Musik hören von Leuten, die mit Weihnachten nichts am Hut haben, Juden z. B., oder Moslems oder Hindus, oder Atheisten. Solche Musik kann man noch für ein paar Tage auf „Radio Multikulti“ vom RBB hören. Aber ab dem 1. Januar 2009 ist auch damit Schluß. Wir müssen also wieder Elvis ausbuddeln.
Dennoch gibt es eine gute Nachricht für das neue Jahr, und das will in diesen Tagen etwas heißen. 2009 erscheint eine neue CD von My Brightest Diamond. Das können sie sich ja schon mal auf den Wunschzettel für Weihnachten 2009 schreiben. Denn das kommt sicher wieder so überraschend wie jedes Jahr.
ALLES GUTE FÜR 2009!

Dienstag, 7. Oktober 2008

My Brightest Diamond

Shara Worden – Eine Hommage

Die Musikerin steht in einem hell erleuchteten Raum vor einem Mikrophon, zwei Glasschränke mit Büchern hinter ihr an der Wand. Sie trägt ein rotes T-Shirt mit dem weißen Schriftzug „I read Pierre Bourdieu“. Eine halbakustische Gitarre umgehängt, sagt sie ungefähr Folgendes: „Mein Name ist Shara, ich komme aus Brooklyn, New York. Ich habe eine Band, die heißt My Brightest Diamond. Manchmal besteht die Band aus einem Streichquartett und einem Drummer. Manchmal nur aus einem Streichquartett, manchmal nur aus einem Drummer und manchmal auch nur aus mir.“
Bevor Shara Worden als My Brightest Diamond unterwegs war, leitete sie eine Band namens Awry. Mit Awry veröffentlichte sie zwei CDs. Die erste, selbstbetitelte, ist nur schwer zu kriegen und die zweite, mit dem koketten Titel The Quiet B-Sides, wurde unlängst wiederveröffentlicht. Sie ist bei abgelegenen Versandhändlern verfügbar. Die MySpace Seite von Awry gibt hierüber Auskunft. The Quiet B-Sides ist eine spröde, zerbrechlich klingende Platte, die durchaus ihren Zauber hat. Kein Baß, kein Schlagzeug. Nur die Gitarre von Shara Worden und hin und wieder ein gezupftes Cello. Ein billiges Keyboard ist auch ab und an zu vernehmen. Auf dem französisch gesungenen Youkali erklingt ein Akkordeon, von ihr selbst gespielt. Und natürlich die wunderbare Stimme Shara Wordens. Es ist ein Album, auf dem sie ihren Weg sucht. Aber schon hier lässt sie ihre Fähigkeit erahnen, wunderbare, eingängige Melodien zu schreiben.
Shara Worden ist in einer Musikerfamilie aufgewachsen. Ihr Vater ist ein mehrfach ausgezeichneter Akkordeonspieler, ihre Mutter klassische Organistin. Shara selbst sang schon früh in einem Kirchenchor. Später studierte sie klassischen Gesang und nennt heute ein Diplom als Opernsängerin ihr eigen
Wenn über Shara Worden geschrieben oder gesprochen wird, fallen regelmäßig die Namen Kate Bush, Beth Gibbons und P.J. Harvey. Diese Vergleiche sind so überflüssig, wie richtig und falsch. Mit Vergleichen wird man Shara Worden nicht gerecht, sie ist sehr eigen und sehr einmalig. Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass sie die genannten Musikerinnen durchaus schätzt.
2006 erschien dann das erste Album unter dem Namen My Brightest Diamond, Bring me the Workhorse. Hier ist das ausformuliert, was mit Awry nur angedeutet war. Ein kammermusikalischer Ansatz in der zeitgenössischen, populären Musik. Die Streicher spielen keine untergeordnete Rolle mehr sondern sind unverzichtbarer Teil von Shara Wordens Konzept. Sie liebt den Kontrast zwischen Streichern, Schlagzeug und elektrischer Gitarre. Per Zeitungsanzeige suchte sie die Streicher für diese Aufnahme. Es sollten Musiker sein, die sowohl Pierre Boulez als auch P.J. Harvey hörten. Diese beiden Pole stecken den Horizont ab, in dem sie sich bewegt. Das Album ist voll von Balladen, manchmal elegisch, oft kraftvoll und von einer schier unglaublichen Musikalität. Ihre kompositorischen Qualitäten stehen ihren stimmlichen in nichts nach. Auf Freak Out zeigt sie, dass sie es auch versteht, herrlichen Krach zu veranstalten. Hin und wieder zersägt sie auch mit ihrer aggressiv gespielten Gitarre die sanften Klänge des Streichquartetts. Manche ihrer Songs sind durchaus auch in einer Fassung von Sonic Youth mit der Stimme von Kim Gordon vorstellbar.
Shara Worden verschickte die Songs von Bring me the Workhorse an diverse DJs, verbunden mit der Bitte, die Titel zu bearbeiten. Heraus kamen dreizehn Remixtracks, die 2007 unter dem Titel Tear it Down erschienen sind. Die Clubversion von Bring me the Workhorse sozusagen. Viele dieser Remixe sind sehr gelungen. Dennoch, mir ist My Brightest Diamond pur lieber.
Bevor Bring me the Workhorse erschien, war Shara Worden Mitglied der Band von Sufjan Stevens, auf dessen Label Asthmatic Kitty auch die Alben von My Brightest Diamond erscheinen. Sie stand u. a. auch mit den Decemberists und The National auf der Bühne.
In diesem Jahr erschien ihr aktuelles Werk, A Thousand Shark`s Teeth, auf dem auch ihr Vater am Akkordeon zu hören ist. Als Einflüsse für dieses Album nennt sie Tricky, Ravel, Tom Waits, den deutschen Maler Anselm Kiefer sowie Alice im Wunderland. Es geht hier also zugleich verspielt, leicht und bedeutungsvoll zu.
Der erste Song der Platte, Inside a Boy, ist ein fast schon rockiger Ohrwurm. Ein wundervoller Einstieg. Es gibt keinen Ausfall auf dieser CD, jeder Song hat Qualität und zeugt von der musikalischen Meisterschaft Shara Wordens. A Thousand Shark`s Teeth ist ein kammermusikalisches Popwunder.
Die Beschäftigung mit der Oper zeigt sich in ihrer Vorliebe für ausgefallene Kostüme, mit denen sie manchmal auf der Bühne steht. Es kann auch vorkommen, dass Shara Worden ihre Shows mit Zaubertricks und Schattenspielen auflockert.
Auf den beiden Alben finden sich keine Coverversionen. Live spielt sie aber gerne eigene Versionen von Songs anderer Musikerinnen und Musikern. Vor allem immer wieder die von Edith Piaf, aber auch Nina Simone, Roy Orbison und Bill Withers. Etliche Videos legen davon Zeugnis ab.
Seit dem 23. September gibt eine neue EP von My Brightest Diamond, From the Top of the World. Diese EP, mit vier Stücken, gibt es allerdings nur bei iTunes als Download. Es bleibt die Hoffnung, das diese vier Songs möglicherweise Bestandteil eines neuen Albums sein könnten. Auf dieser EP sind dann auch Coversongs zu finden, natürlich von Edith Piaf, aber auch von Kurt Weill.
Ich warte allerdings auf etwas ganz anderes, nämlich ein Soloalbum von My Brightest Diamond. Etliche Youtube Videos belegen welch enorme musikalische Ausdruckskraft sie auch ohne Streicher und Band hat, nur mit ihrer Stimme und ihrer Gitarre.
Bis dahin folge ich gerne ihrem Satz „Come and fly away with me“. Das geht auch vom heimischen Sofa aus.

Mittwoch, 4. Juni 2008

Bye Bye SUV

Eine schöne Vision verbirgt sich hinter diesem Link
Möge sie sich schnell bewahrheiten und diese peinlichen Bürgerkriegsautos von unseren Straßen und aus unseren Städten verschwinden.

Freitag, 25. April 2008

60 Jahre Israel

Zugegeben, es passiert selten. Aber manchmal kriegt man dann doch von einer Kollegin eine CD geschenkt (wenn man zur rechten Zeit am rechten Ort ist). Ich kann mich seit ca. 20 min stolzer Besitzer dieser wunderbaren CD nennen: Shabbat Night Fever. Groove Sounds From Israel. Bei uns weitgehend unbekannte Künstler sind auf diesem Sampler versammelt, der anläßlich des 60. Jahrestages der Gründung Israels bei Lieblingslied Records erschienen ist. Was ich bislang, in Bürolautstärke, gehört habe, klingt überaus vielversprechend. Es gibt auch ein sehr umfangreiches Booklet mit vielen Fotos und Kurzvorstellungen der beteiligten Künstler.
http://www.myspace.com/shabbatnightfever
http://www.lieblingslied-records.de/

Samstag, 15. März 2008

40 Jahre 1968

1968-in-Kreuzberg

Montag, 14. Januar 2008

Das Internet retten!

Es raunt immer öfter durch`s Netz – der Infarkt droht, der Netzinfarkt. Schuld sein wird ein ständig wachsendes Datenvolumen, das durch eine begrenzte Kabelkapazität gejagt wird.

Irgendwann sitzen wir also vor unseren Laptops mit den superschnellen DSL Anschlüssen und die Mails der Liebsten lassen trotzdem auf sich warten, denn sie stecken im Datenstau. Vorbei auch die genau getimete Abgabe des Höchstgebots für die rare Frank Zappa Vinyl LP. Der Aktienkurs der Firma Google geht in den Keller, weil kein Mensch mehr eine Firma wie Google braucht. Oder morgens geht Spiegel Online nicht auf. Bald darauf fangen wir also wieder an, Postkarten und Briefe zu schreiben und auf Flohmärkte und Plattenbörsen zu gehen, so wie früher. Millionen Webnerds irren ziel- und haltlos, den Laptop geschultert, durch die Straßen, auf der vergeblichen Suche nach einem funktionierenden Internetanschluß. Die Hauptquartiere der Provider werden gestürmt, Computer aus den Fenstern geschmissen, Kabel aus den Wänden gerissen, das Mobiliar verfeuert. Bürgerkriegsähnliche Zustände bei AOL, T-Online und Co. Doch es nützt alles nichts, millionen Existenzen, die vom Internet leben und nichts anderes können, sind ruiniert.

Um dieses Horrorszenario zu verhindern, könnte das Konzept des „Kontingentierten Sprach- und Wortvolumens“ (KSW) eingesetzt werden und helfen, die drohende Katastrophe abzuwenden.
Das KSW ZK (Zentralkomitee) weist jedem Menschen, vom Tag der Geburt an, ein bestimmtes Wortvolumen für sein gesamtes Leben zu. Die Menge der zur Verfügung stehenden Wörter reicht in der Regel bequem aus, um durch ein, sagen wir, 90jähriges Leben zu kommen. So etwas läßt sich errechnen und je nach Nationalität, Kultur, Geschlecht und sprachlichen Besonderheiten gestalten. Niemand soll das Gefühl haben, sich nicht in aller Ruhe mit anderen austauschen zu können. So sollen Freundinnen nicht plötzlich angehalten sein, sich beim abendlichen Telefonat kurz zu fassen und sich auf die wirklich wichtigen Informationen zu beschränken. Auch Fußballradioreporter sollen natürlich weiterhin unbekümmert ihrer Profession nachkommen können. Selbstverständlich ist auch die Wahl der Worte völlig freigestellt. Es gibt also keine Worte, die häufiger zur Verfügung stehen als andere. Vordergründig geht es ausschließlich um Quantität. Und es spielt auch keine Rolle, ob die Worte geschrieben, gesprochen oder gesungen sind. Das bleibt ebenfalls den Wortnutzern vorbehalten. Wer also beispielsweise im Wesentlichen mit den Wörtern „Essen“, „Bier“, „Fußball“, „Fernsehen“, „Ficken“, „Auto“, „Ja“ und „Nein“ auskommt, wird über eine ausreichende Anzahl der genannten Begriffe verfügen können.

Will man allerdings den Netzinfarkt verhindern und das Datenvolumen einschränken, das tagtäglich die Leitungen verstopft, wird man um eine behutsame qualitative Wertung des Gesprochenen, Geschriebenen und Gesungenen nicht umhin kommen. Ja, man wird auch die Qualität des Gelesenen und Gehörten mit in diese, wie gesagt, behutsame Wertung einbeziehen müssen. Selbstverständlich werden aber gelesene oder gehörte Texte in aller Regel nicht auf das KSW angerechnet, dient doch das Lesen von Büchern und Zeitschriften sowie das Hören von Hörbüchern und Musik der Persönlichkeitsausbildung. Dennoch, wer schon mal Fernsehen geschaut hat, oder sich in Internetforen rumgetrieben hat, wird die Notwendigkeit, dem ungezügelten Wortgebrauch Einhalt zu gebieten, sicherlich verstehen können.

Wo also anfangen bei der Wertung und Ahndung missbräuchlich und überflüssig verwendeter Wörter und Begriffe (MÜW)? Naheliegend ist es naturgemäß, die Versender sog. SPAM Mails zu ahnden, in dem beispielsweise dem Absender einer solchen Mail, sagen wir mal, das Tausendfache der Wörter, aus denen die SPAM Mail besteht, von seinem KSW abgezogen wird; multipliziert mit der Anzahl der Empfänger, versteht sich. Das würde, nachvollziehbarerweise, zu einer unmittelbaren und spürbaren Entlastung des Netzes führen.

Andererseits wäre es auch denkbar, vielleicht auch wünschenswert, das Verfassen sog. „dummer und überflüssiger Texte“ (DÜT) zu ahnden. Wenn also beispielsweise der Schlagersänger Dieter B. ein Buch schreiben lässt und unter seinem Namen veröffentlicht, wäre es eventuell bedenkenswert, dem Herrn B. die Anzahl der Worte in diesem Buch von seinem KSW abzuziehen, multipliziert mit den verkauften Exemplaren, versteht sich. Das würde genanntem Schlagersänger sicherlich zu denken geben und er wäre fürderhin sparsamer mit seinen Äußerungen. Das wiederum führte zu einer spürbaren Reduzierung öffentlicher, medialer Reaktionen auf die Äußerungen des Herrn B. und somit ebenfalls zu einer starken Entlastung des Netzes. Die Käufer des Buches sollen natürlich damit rechnen, die Anzahl der Worte des Textes von ihrem KSW abgezogen zu bekommen. Dies könnte durch einen entsprechenden Aufkleber auf dem Buch kenntlich gemacht werden.

Hätte es dieses geniale Konzept schon vor 60 –70 Jahren gegeben, dann wäre z. B. die berühmte Rede des Herrn Goebbels vom 18.02.1943 im Sportpalast ganz sicher anders verlaufen, nämlich möglicherweise so: „WOLLT IHR DEN TOTALEN...?“ Feierabend, Schluß aus und vorbei. Goebbels macht den Mund auf und zu, blickt sich hilflos um, schnappt wie ein Fisch, nein, nicht nach Luft, sondern nach Wörtern, nach einem Wort genaugenommen. Aber sein Kontingent wäre just in diesem Moment erschöpft gewesen, wenn es denn überhaupt so weit gereicht hätte. Das enttäuschte Publikum hätte sich völlig verunsichert umgeschaut, erwartungsvoll zum Herrn Goebbels geblickt, der freilich schon längst stumm und wild gestikulierend, hinter den Kulissen verschwunden wäre. Was wollte er denn nun noch sagen, „Klamauk“, „Spaß“ ,“Sex“ ...? Das blöde Geschrei anschließend wäre ebenfalls unterblieben und die Welt sähe möglicherweise besser aus.

Aber wir wollen zu unserem Schlagersänger zurückkehren. Er hat jetzt ein Problem. Jede Menge Kohle aber nur noch ein überschaubares Kontingent an Worten. Nichts mit dem er hinkommt bis ans Ende seiner Tage. Ein unerträglicher Zustand für jemand, der von Verlautbarungen lebt.
Und wir kehren zurück zu unserem Beispiel des sprachlich Eingeschränkten, wir erinnern uns („Essen, „Trinken“, „Fußball“ etc..). Diese Person, nennen wir sie MF für Mundfaul, hat naturgemäß noch jede Menge Wörter in seinem KSW, mehr als sie jemals aufbrauchen kann. Zumal auch die gesundheitliche Situation MFs nicht so ist, dass mit einer hohen Lebenserwartung zu rechnen ist.
Hier setzt dann der Zertifikatshandel ein, den wir, in vergleichbarer Weise, bereits vom Handel mit CO2 Zertifikaten kennen.
Der Schlagersänger B. wendet sich also an die Person MF, die ihm vom KSW ZK, gegen eine geringe Gebühr, vermittelt wurde. Er kann MF gegen ein Entgelt, sagen wir, 10% seines KSW abkaufen. MF freut sich und studiert das Fernsehprogramm. B. ist etwas erleichtert, traut sich aber trotzdem nicht, gleich wieder neue Lieder zu singen oder ein Buch schreiben zu lassen. Das muß er erst mal mit seinem Vermögensberater besprechen.

Wir sollten aber im Zusammenhang mit KSW nicht nur von Sanktionen sprechen. Selbstverständlich gibt es auch Möglichkeiten, sein KSW durch geniale Sprachschöpfungen zu erweitern. Wer also beispielsweise ein unterhaltsames, sinnvolles, nutzbringendes und vielleicht sogar künstlerisch wertvolles Buch schreibt, soll selbstverständlich alle Wörter, die für dieses Buch notwendig waren, gutgeschrieben kriegen, multipliziert mit den verkauften Exemplaren, versteht sich. Also genau andersrum wie bei dem Schlagersänger B.

Ebenso sollte bei dem Erfinden schöner neuer Begriffe das Bonussystem greifen. Wer also so schöne Worte wie beispielsweise, sagen wir mal, „Arschlochtrefferquote“ in Umlauf bringt, soll für den Rest seines Lebens keine Sorge mehr um sein KSW haben.

Wäre doch gelacht, wenn wir das Netz nicht retten könnten.

Samstag, 29. Dezember 2007

Meine TOP 10 Alben 2007

1. Robert Wyatt – Comicopera
Domino / Rough Trade

Weil jede Platte von RW ein Meisterwerk ist, so auch diese. Niemand schreibt Melodien wie Robert Wyatt und niemand singt wie Robert Wyatt. Er bleibt sich seit Jahrzehnten treu. Und er hat was zu sagen. Und diese Musik wird niemals alt.

2. Joe Henry – Civilians
Anti / SPV

Weil JH es verdient hat, endlich mal als der anerkannt zu werden, der er ist - einer der großartigsten Singer/Songwriter, die wir zur Zeit haben. Mit diesem Album hat er das eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

3. Animal Collective - Strawberry Jam
Domino / Rough Trade

Weil die New Yorker Spaß haben am Experiment, Songstrukturen uninteressant sind und sie doch die Melodien nicht vergessen. Sehr schräg, sehr schön. Das gilt auch für die Videos.

4. Vic Chesnutt - North Star Deserter
Constellat / ALIVE

Weil VC sich mit diesem Album wieder als genialer Songwriter erwiesen hat und wunderbar zwischen Ballade und erhabenem Krach pendelt. Eine Perle!

5. Radiohead - In Rainbows
XL / Indigo

Weil Radiohead seit Jahrzehnten Musik vom Allerfeinsten abliefern. Und immer noch nicht zu müde sind um ein solch grandioses Werk abzuliefern. Und weil sie virtuos und unverwechselbar sind. Und weil ich die Stimme von Thom Yorke mag.

6. Rufus Wainwright - Release the Stars
Geffen / Universal

Weil diese Musik pure Schönheit ist.

7. P.J. Harvey - White Chalk
Island / Universal

Weil P.J. hier beweist, daß wenig oft mehr ist. Einfache Musik, schöne Songs, sehr kunstvoll und ergreifend.

8. The Good, The Bad & The Queen
EMI

Weil diese "Supergroup" nicht abhebt, sondern eine schlichte und sehr "bescheidene" Musik präsentiert. Und weil es mich freut mal wieder was von Paul Simonon zu hören. Auch wenn es von dieser "Band" nichts mehr zu hören geben wird, das wird bleiben.

9. The Coral - Roots & Echoes
Red Ink / Rough Trade

Weil die Songs dieser Platte sich auf das Angenehmste ins Ohr schmiegen und dort bleiben. Und wer Songs wie "Jacqueline" und "Rebecca You" schreiben kann, hat es allemal verdient, in einer Best Of Liste zu erscheinen.

10. The Pierces - Thirteen Tales of Love and Revenge
Lizard Kin / Rough Trade

Weil die Schwestern so tun, als hätte es noch nie vorher eine Girlgroup gegeben und wunderbare Ohrwürmer darbieten, die einfach gute Laune machen.

Mittwoch, 19. Dezember 2007

Wer ist Joe Henry

Wer ist Joe Henry?

Wer ist eigentlich Joe Henry und weshalb wusste ich das bis vor einigen Wochen selbst noch nicht? Weshalb musste wieder Freund HPunkt herhalten um meine musikalischen Wissenslücken zu schließen?
Jeder kennt Van Morrison, Tom Waits und Elvis Costello. Aber keiner kennt Joe Henry. Ein deutliches Zeichen für die Ungerechtigkeit dieser Welt. Die Recherche im Netz nach Joe Henry ist ein mühsames Geschäft. Es ist, von einigen wenigen, kurzen Fanbeiträgen und kurzen Zeitungsartikeln abgesehen, so gut wie nichts über ihn zu finden.
Mit den drei genannten Namen ist das Terrain abgesteckt, in dem sich Joe Henry bewegt - auf gleicher qualitativer Höhe bewegt. Er muß sich hier nicht verstecken, und doch scheint es, als hätte ihn jemand hinter diesen Namen versteckt.
Henry ist Singer/Songwriter, verwurzelt, wie so viele, in der Country Music. Aber Joe Henry ist auch Jazzer. Das sind die Pole, zwischen denen er sich bewegt, Country und Jazz.
Auf seiner Website, die erstaunlicherweise auf eine Discographie verzichtet und sich ausschließlich seinem letzten Werk „Civilians“ widmet, finden sich neben den üblichen Pressestimmen, Tourdaten und einem Kochrezept, (Spare Ribs Tuscan Style With White Wine, Garlic and Sage), auch ein Aufsatz Henrys über die Thelonius Monk Komposition „Hackensack“, sowie über seinen Lieblingsjazzer, den Saxophonisten Ornette Coleman (The Ghost in a Song). Und dieser ist dann auch auf der besten Joe Henry Platte zu hören, „Scar“ aus dem Jahre 2001.
„Scar“ ist das Meisterwerk Joe Henrys, dem auf jeder Best of Ever Liste ein Top Ten Platz gebührt. Trotzdem taucht diese Platte auf keiner dieser Listen auf. Wie kann es sein, dass so etwas übersehen, besser, überhört wird. Amazon bietet zu dieser Platte nicht mal Hörproben. Aber hier http://mammoth.go.com/joehenry/ kann man sich das ganze Werk kostenlos in voller Schönheit anhören. Neben dem bereits genannten Ornette Coleman finden sich neben anderen noch weitere illustre Namen auf der Besetzungsliste; Brad Mehldau, Me`shell Ndegeocello und auch Marc Ribot, der vielseitige Gitarrist, der u.a. auch schon mit Tom Waits und Elvis Costello zu hören war.
Die ersten beiden Platten Henrys, „Talk of Heaven“, 1986 und „Murder of Crows“, 1989, waren handwerklich solide, aber doch recht uninspirierte Country-Rock Werke, die niemanden vom Sessel rissen.
Erst mit dem dritten Album von 1990, „Shuffletown“, zeigte sich die große Kunst Henrys, nämlich Country Musik zu schreiben, die jazzig klang. Sicher lag das auch an Don Cherry, der die Trompete spielte, sowie an Cecil McBee am Bass. Aber auch diese Platte erreichte nur einen kleinen Kreis Eingeweihter. Amazon.de verzeichnet einen Anbieter, der die CD für € 76,99 feilbietet.
Es folgten zwei Aufnahmen mit den Jayhawks, „Short Man`s Room“ (1992) und „Kindness of the World“ (1993). Sehr schöne Musik, Country Music, fernab jeder tümelnden Wildwest Romantik - Alternative Country heißt die Schublade. Jetzt wurde Joe Henry, nicht zuletzt durch die Jayhawks, einem größeren Publikum, wenigstens in den USA bekannt.
Es folgte 1996 „Trampoline“, die bis dato vielleicht popigste Platte Joe Henrys. Hierfür holte er sich Unterstützung von dem Helmet-Gitarristen Page Hamilton sowie Darryl Jones; dieser wie Joe Henry ein Wanderer zwischen den Welten, spielte er doch mit den Stones, mit Miles Davis, Sting oder Madonna, um nur einige zu nennen. „Trampoline“ ist ein sehr entspanntes Album, bei dem Henry Streicher sowie Samples einsetzt. Weiter hatte er sich bislang noch nicht vom Country entfernt. „Ein leises Meisterwerk, das mit minimalen Mitteln maximale Wirkung erzielt“, schrieb Stereoplay.
Auf „Fuse“ von 1999 folgt er dem Weg, den er mit „Trampoline“ eingeschlagen hat. Produziert von T-Bone Burnett und Daniel Lanois klingt er, nicht zuletzt durch eingestreute Trip Hop Elemente „moderner“ denn je. Aber auch dieser Platte ist das selbe Schicksal wie den bisherigen beschert. Sie interessiert niemanden.
2001 dann das bereits erwähnte Meisterwerk „Scar“. Meines Wissens nach auch das einzige Pop Album, bei dem sich Ornette Coleman die Ehre gibt. Hier finden sich bei Amazon wenigstens auch mal drei Kundenrezensionen und viereinhalb von fünf Punkten. Recht so. Trotz der Jazzbesetzung ist „Scar“ aber wieder ein Singer/Songwriter Album geworden, ein jazziges zwar, aber der Jazz hält sich dezent im Hintergrund. Nie war Henry näher an Tom Waits, als auf diesem Album. Besonders das Spiel des Gitarristen Marc Ribot ist zum Niederknien. Umwerfend gleich das erste Stück „Richard Pryor Addresses a Tearful Nation“. Eine traumhafte Ballade, die von einem gänsehauterzeugenden Solo Ornette Colemans abgeschlossen wird.
Der Jazz hat es Joe Henry natürlich unüberhörbar angetan. Ganz deutlich wird dies auf dem 03er Album „Tiny Voices“ , einem leider etwas überambitionierten Werk, das sich nicht entscheiden kann, was es sein will, Jazz oder Song. Es ist ein gutes Album, keine Frage, aber wir sind mittlerweile von Joe Henry Besseres gewohnt. Aber auch hier ist die Besetzungsliste wieder von Allerfeinsten. Neben dem Drummer Jim Keltner, der mit allen Größen des Rock und Pop Business gearbeitet hat, wirken der Trompeter Ron Miles und der Klarinettist Don Byron mit.
In diesem Jahr gab es dann endlich wieder ein neues Joe Henry Album „Civilians“. Hier ist er wieder ganz der Singer/Songwriter, auch wenn er sich mit Bill Frisell wieder einen Jazzgitarristen in`s Studio geholt hat. Der allerdings hat selbst schon mal ein eigenes Country Album aufgenommen, „Nashville“ (1997). Und auf der großartigen Platte von Vic Chesnutt , „Ghetto Bells“ (2005) wirkt er auch mit. Frisell ist also den musikalischen Umgang mit Singer/Songwritern gewohnt. „Civilians“ ist ein swingendes, teilweise auch rockendes Album und gehört für mich zu den 5 besten Platten in 2007, und wenn es nur für diesen Satz ist: “Live is short, but by the grace of God, the night is long.“ Große Teile des Albums kann man sich hier anhören: http://www.joehenrylovesyoumadly.com/

Auch wenn man von den genannten Platten noch nie was gehört hat, könnte man trotzdem den Namen Joe Henry schon mal gehört haben. Schließlich hat er schon einen Grammy im Regal. Verliehen für seine Produktion des Solomon Burke Albums „Don`t Give Up On Me“. Das Produzieren ist sozusagen sein Hauptberuf. So produzierte er unter anderem Aimee Mann, Betty LaVette, Elvis Costello und Alain Toussaint sowie zuletzt Loudon Wainwright III.
Und auch ich hätte schon mal über den Namen Joe Henry stolpern können, bevor mir HPunkt auf die Sprünge half. Er wirkt auf einer meiner Lieblingsplatten mit, nein, nicht bei Sonic Youth, aber auf der wunderbaren Platte „Wrong Eyed Jesus“ des Alternative Country Manns Jim White ist er bei drei Stücken zu hören. Aber das ist ein anderes Thema.

Im Februar 2008 kommt Joe Henry nach Europa. Bis heute gibt es noch keinen Termin in Deutschland!


P.S. Beinahe hätte ich es vergessen. Kann ja sein, dass das jemand interessiert. Joe Henry ist der Schwager Madonnas.

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