Montag, 22. Februar 2010

Die "Wahrheit" über Bellstedt

Am 08. Feb. 2010 stellte ich folgende Frage über Twitter:

Wer ist eigentlich dieser Bellstedt?

Eine Frage, die mir durchaus ernst war. Ich hatte sie schon oft gestellt, aber nie eine Antwort erhalten. Mit einer Antwort via Twitter hatte ich allerdings ebenfalls nicht gerechnet.
In meinem Bundesligatippspiel gibt es einen, oder eine, „tbellstedt“. Wir tippten meist sehr ähnlich und wechselten uns an der Tabellenführung ab, oft mit nur einem Punkt Vorsprung. Auch hatten wir fast die selbe Anzahl an richtig getippten Ergebnissen. Das war schon ungewöhnlich. Aber keiner der Mittipper konnte mir sagen, wer eigentlich „tbellstedt“ ist, so dass in mir der Verdacht keimte, „tbellstedt“ könnte ein Avatar des Administrators sein.
Auf diesen ersten Tweet gab es verständlicherweise keinerlei Reaktion seitens meiner Follower. Erst als ich etwas später am selben Tag folgenden Tweet absonderte,

Bellstedt hat angerufen. Er behauptet, mich zu kennen.

passierte was.

@Geyst Headhunter ;-)

@Geyst Vielleicht haben Sie das auch falsch verstanden und es war der große Bellheim.

@Geyst klingt wie new york trilogy...

Das war nicht schlecht, sogar Paul Auster wurde ins Spiel gebracht. Ich dachte, es könne irgendwas lustiges, spannendes aus den Bellstedt-Tweets entstehen.

Am 09. Feb. 2010 folgte dann dieser Tweet:

Bellstedt geht mir nicht mehr aus dem Kopf.

@Geyst gäbe es einen besseren namen für einen protagonisten eines romans?

Per DM (Direct Message): Was wollte denn der geheimnisvolle Herr Bellstedt? Auf jeden Fall klingt es beinahe wie ein Romanbeginn. ;-)

Via Facebook Chat: Wer ist denn der geheimnisvolle Herr Bellstedt?

Die Reaktionen stimmten mich hoffnungsvoll, dass eine kleine Bellstedt Geschichte entstehen könnte, eine Geschichte, von der ich nicht wusste, wie sie weitergehen könnte. Eine Geschichte, die vielleicht mit Hilfe meiner Follower ihren Fortgang finden würde. Hier wurde schon von einem „Romanbeginn“ gesprochen. Ich selbst hatte keinen Plan wie es mit Bellstedt weitergehen könnte und musste mir jeden Tweet gut überlegen. Aber vielleicht stand ich wirklich am Anfang eines „Twitterromans“? Die Neugierde war bei einigen offensichtlich geweckt.
Diese Neugierde wurde durch diesen Tweet weiter gefüttert:

Mail von Bellstedt, unterschrieben mit "Dein B." B.?

@Geyst okay, du hast es geschafft, ich frage. Who the f..k is Bellstedt?

@Geyst Hier ist Bellstedt

Es gibt ein Kaff in Thüringen namens "Bellstedt". Schöne Idee, dort könnte man den „Roman“ ansiedeln.
Dann bin ich aus unterschiedlichen Gründen für 2-3 Tage nicht zum Twittern gekommen. Vielleicht war das schon tödlich für meine kleine Bellstedt Geschichte.
Erst am 12. Feb. folgte dieser Tweet:

Zwei Tage nichts von Bellstedt gehört. Ich habe aber von ihm geträumt.

Immerhin, einen weiteren Follower hat die Neugierde gepackt.

@Geyst Who the F*** ist Bellstedt?????

Am 22. Spieltag der Bundesliga landete ich einen sensationellen Tipp. Am Sonntag erreichte ich dann 27 von 36 möglichen Punkten bei 5 richtig getippten Ergebnissen. Sollte „tbellstedt“ einen ähnlich guten Tipp abgegeben haben, wäre das eine Bestätigung für meine Avatartheorie. Ich twitterte am Samstag, den 13. Feb.:

Tja, Bellstedt, jetzt mußt du dich aber anstrengen!

Das hat wieder jemand neugierig gemacht.

@Geyst Wer ist denn immer dieser Bellstedt?

„tbellstedt“ hatte an diesem Spieltag nur 16 Punkte getippt. Ich führte mit 10 Punkten und hatte 5 mehr richtige Ergebnisse getippt. Also nichts mit Avartar, meine schöne Verschwörungstheorie ist in sich zusammen gebrochen.
Dann musste ich aus beruflichen Gründen für eine Woche nach Berlin und Bellstedt schwieg für 3 weitere Tage. Das war wahrscheinlich das endgültige Aus für ihn.

Am 16. Feb. folgte noch dieser Tweet:

Bellstedt fragt per Postkarte, wie mein Abschiedsfest war und wünscht mir schöne Tage in Berlin. Woher weiß der das?

Es war der Versuch, noch etwas Spannung in die Geschichte zu bringen, allerdings vergeblich. Auf diesen Tweet gab es keine Reaktion. Erst am 18. Feb. fand ich folgende Nachricht:

@Geyst Grüße an Bellstedt!

Das hat mir gefallen. Endlich ging mal jemand auf Bellstedt ein. Dennoch ließ ich ihn noch am selben Tag „sterben“ und zwar mit folgendem Tweet:

Bellstedt dankt für die Grüße, mailt aber, er will nichts mehr mit mir zu tun haben.

Darauf erfolgte dann gar keine Reaktion mehr. Es war mir leider nicht gelungen meine Follower weiterhin für Bellstedt zu interessieren. Das macht aber nichts. Für ein paar Tage hat er mir viel Spaß gemacht und einige originelle Reaktionen hervorgerufen.
Am letzten Spieltag habe ich grauenhaft getippt, nur 4 Punkte. „tbellstedt“ dürfte wieder zu mir aufgeschlossen haben. Wer das aber nun ist, weiß ich noch immer nicht.

P.S. "tbellstedt" hatte am letzten BL Spieltag 9 Punkte. Er/Sie ist bis auf 5 Punkte an mich rangekommen.

Samstag, 16. Januar 2010

Von Bausünden und anderen Verlusten

Geschrieben als Auswechselspieler für Joe Bauer


Jetzt, da der Herr Bauer verletzungsbedingt ausfällt und eindringlich nach Platzhaltern nachfragt, besteht die einmalige Möglichkeit, auf andere Städte hinzuweisen. Die Welt ist größer als Stuttgart. Eine dieser Städte, in Bauers Aufruf ausdrücklich erwähnt, ist Frankfurt am Main, per ICE eine gute Stunde von Stuttgart entfernt. Daran wird auch Stuttgart 21 nichts ändern.
Derartige Untertunnelungspläne bewegten einst auch in Frankfurt die Gemüter. Pläne wurden gezeichnet, Kosten kalkuliert und bald war das Projekt wieder begraben. Wenn Sie also, liebe Stuttgarter, in zehn Jahren mal wieder mit dem Zug in einen Kopfbahnhof einfahren möchten, dann nichts wie ab nach Frankfurt.
Auch fußballmäßig, diese Bemerkung sei mir gestattet, steht Frankfurt besser da, als Stuttgart. Während der VfB gegen den Abstieg kämpft, hat sich die Eintracht ein gemütliches Plätzchen im Mittelfeld erarbeitet, wer hätte das vor der Saison gedacht. Und der Bornheimer Lokalclub FSV spielt in der 2. Liga, noch.
Frankfurt geht derweil anderer Dinge verlustig, dem Suhrkamp Verlag zum Beispiel, oder Charlotte Sänger (Andrea Sawatzki) und Fritz Dellwo (Jörg Schüttauf) als Tatortkommissare. Im letzten Tatort, „weil sie böse sind“, einem der besseren Sorte, redeten Dellwo und Sänger kaum miteinander. Ähnlich hielten es der Verlag und die Stadt, die er mittlerweile verlassen hat, in den letzten Monaten auch. Nur die vereinzelt in der Stadt noch zu findenden Aufkleber erinnern an den berühmten Verlag, der sein Heil nun in der Hauptstadt sucht. „Suhrkamp, Frankfurt am Main“ ist darauf zu lesen, oder auch „Sparr dir Berlin. Initiative Ulla Schmidt zurück nach Hanau S.V.“. Eine Anspielung auf den Suhrkamp Geschäftsführer Thomas Sparr sowie die Herkunft der Suhrkamp-Chefin.

Im Tatort fuhr hin und wieder ein roter Jaguar durchs Bild. Ein ähnliches Modell wie das der Suhrkamp Chefin, das allerdings in Blau gehalten ist. Sie wird es gut verstecken müssen, dort im Prenzlauer Berg. Das Abfackeln von Luxuskarossen gehört in der Gegend mittlerweile zum Alltag. Die S-Bahn fällt auf längere Zeit als Alternative ebenfalls aus. Durch jahrelange Misswirtschaft verursachte Mängel lassen die gelb-roten Bahnen bis ins Jahr 2013 hinein nur gelegentlich verkehren. Es lässt sich allerdings ganz trefflich flanieren auf den breiten Gehwegen der Hauptstadt. Sogar aufrecht und „erhobenen Hauptes“.
Sollte den Neuberlinern die legendäre „Berliner Schnauze“ in Gestalt eines Taxi- oder Busfahrers entgegenbellen und ungefragt duzen, oder einer der zahlreichen Bettler „Haste ma wat Kleingeld“ fordern, lohnte sich eine Anleihe bei Kommissar Dellwo: „Hier wird nicht geduzt, wir sind nicht bei IKEA!“
Immerhin, Berlin ist die Zukunft, „das Labor“. Drei Opern, ungezählte Theater, vier Universitäten, die „Digitale Bohème“, also jede Menge kreatives Personal hat die Stadt zu bieten. Dieses Potential versucht Suhrkamp abzuschöpfen. Ob es allerdings auf den Verlag gewartet hat, ist fraglich.
Beim Fußball hört die Kreativität allerdings auf. Berlin dürfte in der nächsten Saison die einzige Stadt sein, die zwei Clubs in der 2. Liga hat. Daran wird auch der ehemalige Eintrachttrainer Friedhelm Funkel nichts ändern.
Eine Kastration ihres Bahnhofs hat die Stadt allerdings nicht zu befürchten, der wurde schon kastriert eröffnet. „Die Wurst ist zu kurz“, pflegte Exkanzler Schröder auszurufen, wenn er aus dem Fenster seines ehemaligen Arbeitsplatzes auf die Baustelle des Hauptbahnhofs blickte. Exbahnchef Mehdorn hat die Wurst kurzerhand abgeschnitten und die Berliner müssen zusehen, wir sie mit dem verunstalteten Bauwerk zu recht kommen. Eine Weitsicht, auf die die Planer von Stuttgart 21 mit einigem Neid schauen dürften.
Wie historische Baudenkmäler zerstört werden, kann jetzt schon in Franfurt besichtigt werden. Die ehemalige – denkmalgeschützte - Frankfurter Großmarkthalle, am Mainufer im Ostend gelegen, wurde in den zwanziger Jahren von Martin Elsaesser erbaut. Für den Neubau der Europäischen Zentralbank (EZB), der an dieser Stelle errichtet werden soll, wurde das Gebäude bereits seiner Annexbauten beraubt. Der Plan sieht vor, den Restcorpus zu durchschneiden für den Eingang zur EZB. Die alte Großmarkthalle wird so bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt.

Frankfurt leckt derweil seine Wunden. Denn nicht nur der Suhrkamp Verlag hat die Stadt verlassen, sondern auch der Baumhaus Verlag sowie der VDA (Verband der Automobilindustrie) mit seinem Vorsitzenden Matthias Wissmann. Der VDA residierte nur einige Häuser vom Suhrkamp Verlag entfernt in der Lindenstraße im Frankfurter Westend. Allerdings haben diese Abgänge kaum jemand interessiert.
Immerhin, Frankfurt hat einen schönen Bahnhof, einen Kopfbahnhof. Und den wird die Stadt auch behalten.

Mittwoch, 23. Dezember 2009

Das neue Konzept der Bahn.

DSCN1898


















Foto: Stefan Geyer

Die ICE Züge der Deutschen Bahn AG haben die sibirischen Temperaturen der letzten Tage nicht verkraftet. Etliche Verbindungen müssen deshalb im Weihnachtsverkehr ausfallen.
Die Bahn hat erstaunlich schnell reagiert und ihr neues Konzept vorgestellt, das künftig derartige Ausfälle vermeiden soll. Es werde der gewohnte ICE Komfort garantiert, allerdings müsse man sich auf etwas längere Fahrtzeiten einstellen..

Mittwoch, 25. November 2009

Wenn man mal nach Stuttgart fährt.

Es gibt nur wenige Gründe, nach Stuttgart zu fahren. Der VfB ist keiner mehr und die Kickers ohnehin nicht, es sei denn, man ist VfB- oder Kickers-Fan. Das soll es ja geben. Mein Grund hieß Joe Bauer.
Joe hieß noch Joachim (Freunde nannten ihn „Dandy“), als wir vor über vierzig Jahren gemeinsam die Schulbank in Schwäbisch Gmünd drückten. Ich öfter als er. Joe war schon Rock`n Roller bevor ich wusste, was Rock`n Roll überhaupt ist. Er hatte lange Haare, als ich noch mit Fasson rumlaufen musste und mit 15 Jahren war er bereits DJ in der angesagtesten Disco nördlich der Alb. Man musste 16 sein, um dort eingelassen zu werden. Hin und wieder saß er auch am Schlagzeug einer lokalen Band, die sich „The Crossroad“ nannte.
Ich zog dann nach Berlin. Joe ist geblieben, nicht in Schwäbisch Gmünd, aber im Schwabenland. Er ging nach Stuttgart und heuerte bei den Stuttgarter Nachrichten an. Da ist er heute noch und Stuttgart kann sich glücklich schätzen.
Joe ist Journalist, war es damals schon. Gemeinsam mit anderen war er verantwortlich für eine skandalträchtige Schülerzeitung namens „Pappa Dadda“, deren Vertrieb auf dem Schulgelände streng untersagt war.
Seiner Selbstbeschreibung nach ist Bauer „Berufsspaziergänger“, er fühlt sich also einer aussterbenden Spezies verbunden, dem Flaneur. Wikipedia vermerkt folgendes über den Flaneur:
„Der Flaneur bezeichnet eine literarische Figur, die durch Straßen und Passagen der Großstädte mit ihrer anonymen Menschenmasse streift (flaniert). Hier bietet sich ihm Stoff zur Reflexion und Erzählung. Der Flaneur lässt sich durch die Menge treiben, schwimmt mit dem Strom, hält nicht inne, grüßt andere Flaneure obenhin. Der Flaneur ist intellektuell und gewinnt seine Reflexionen aus kleinen Beobachtungen...“
Die Ergebnisse dieser Reflexionen und Beobachtungen kann man regelmäßig in Bauers Glossen in den Stuttgarter Nachrichten nachlesen, oder in den regelmäßigen Depeschen auf seiner Website. Eine repräsentative Auswahl dieser Texte ist in einem schönen Band versammelt, „Schwaben, Schwafler, Ehrenmänner“, erschienen im Berliner Verlag Edition Tiamat.
Die Präsentation des Buches sollte im Stuttgarter Theaterhaus stattfinden. Der Saal war mit 400 Besuchern ausverkauft. In Stuttgart ist Joe Bauer weltberühmt. Die Gäste erwartete keine schlichte Lesung sondern eine Show und die heißt „Joe Bauers Flaneursalon“. Damit tingelt er in wechselnden Besetzungen durch Stuttgart und die angrenzenden Gemeinden. Und das schon seit über zehn Jahren. Im Theaterhaus erwartete die Besucher ein Flaneursalon in voller Fußballmannschaftsstärke.
Moderiert wurde der Abend vom begnadeten Entertainer Michael Gaedt. Für die Musik sorgten der Tänzer und Singer-Songwriter Eric Gauthier, die Soulsängerin Dacia Bridges sowie Roland Baisch mit seiner wunderbaren Band, die Country so spielte, als sei Nashville ein Vorort von Stuttgart. Zwischendrin las Bauer seine bissigen, satirischen und nachdenklichen Texte. Nach einer Pause und drei Stunden war der sehr kurzweilige Abend vorbei und ich hatte eine Ahnung von Stuttgart.
Der Verleger Klaus Bittermann, eigens aus Berlin angereist, freute sich über einen, so bislang noch nicht erlebten, Buchverkauf.
Der Abend endete in einem nahegelegenen Restaurant. Neben mir saß ein grauhaariger Mann. Er trug eine Lederweste mit der Aufschrift „Hells Angels Stuttgart“, vorne stand „President“. Aus Erzählungen Joes wusste ich, das war der Fotograf Lutz Schelhorn. Ich hatte im Internet ein paar Fotos von ihm gesehen. Zusammen mit dem Künstler Stefan Mellmann verantwortet Schelhorn die eindringlichste Gedenkstätte an die Vernichtung der Juden im „Dritten Reich“, die mir bekannt ist. Am Stuttgarter Nordbahnhof, von dort wurden die Stuttgarter Juden in die Vernichtungslager deportiert, vergruben Mellmann und Schelhorn dreissig ausgewählte Dias in die leidgetränkte Erde, um dieses Leid sichtbar zu machen. Vorher hatte Schelhorn das Gelände in über 1000 Fotos festgehalten, aus denen die dreissig Motive ausgewählt wurden. Die Ergebnisse dieses Prozesses sind seit zwei Jahren unter dem treffenden Titel „Die Chemie der Erinnerung“ auf 30 großformatigen Fotos in einer Dauerausstellung auf dem Gelände am ehemaligen Stuttgarter Nordbahnhof zu sehen. Joe Bauer hielt seinerzeit die Eröffnungsrede zur Ausstellung. Diese Rede ist in seinem Buch nachzulesen.
Am nächsten Tag besuchten wir Schelhorn in seinem Atelier, vis à vis des Stuttgarter Hauptbahnhofs, jenem Baudenkmal, das ab nächstem Jahr einem größenwahnsinnigen Projekts namens "Stuttgart 21" zumindest teilweise zum Opfer fallen soll. Schelhorn bot Kaffee und Zigaretten an, seine Tochter, die bei ihrem Vater eine Ausbildung absolviert, servierte. Und er erzählte von seinem nächsten Projekt, eben jenem Bahnhof, den er von seinem Atelierfenster aus jeden Tag sieht. Mit seiner großformatigen Kamera lichtet er in Schwarz-Weiß den Bahnhof aus jeder erdenklichen Perspektive ab. Damit führt er uns auch in Räume, die uns Reisenden normalerweise nicht zugänglich sind. Ein Spiel mit Licht und Schatten, Architektur und Menschen. Der Titel dieses Projekts lautet „Hauptbahnhof Stuttgart vor 21“. Am Computer zeigte er uns einige sehr beeindruckende Ergebnisse dieser monatelangen Arbeit. Seine Tochter checkte derweil ihr Facebook Profil und ich fühlte mich wohl.
Zum Abschied schenkte mir Schelhorn einen Katalog zu „Die Chemie der Erinnerung“ und ich wusste, mein mediengeprägtes Bild über Hells Angels bedurfte dringend einer Revision.
Joe und ich machten uns auf den Weg, die „Chemie der Erinnerung“ in natura zu sehen. Von der Gegend, in der wir aus der Bahn stiegen, behauptete Joe, dort lebten keine Deutschen. Er fand den Weg nicht auf Anhieb und fragte eine Gruppe Jugendlicher mit Bierflaschen in der Hand. Es war nicht mehr weit und bald standen wir in einem unwirklichen Niemandsland unweit eines Schrottplatzes. Hier war also der Ort des Schreckens, Standort der offiziellen Stuttgarter Gedenkstätte für die Opfer des Naziregimes, der ehemalige Stuttgarter Nordbahnhof. Wir waren die einzigen Besucher an diesem Freitagmittag. Ich wunderte mich über fehlende Spuren von Vandalismus an „Die Chemie der Erinnerung“. Joe meinte lapidar: Würdest du was kaputtmachen, was einem Hells Angel gehört?
Er führte mich weiter durch seine Stadt, vorbei an den „Wagenhallen“, unweit des Nordbahnhofs, die heute für Konzerte und Partys genutzt werden. Von einer Eisenbahnbrücke aus blickten wir auf alte Wagons, aus deren kleinen Schornsteinen es qualmte. Künstler hatten sich dort einquartiert. Diese städtischen Freiräume hat Stuttgart also auch zu bieten, noch.
Zum Abschluß meiner kurzen Reise besuchten wir das neue Stuttgarter Kunstmuseum, das eine sehr sehenswerte Sammlung lokaler Künstler sein Eigen nennt, Otto Dix und Willi Baumeister zum Beispiel. Die aktuelle Ausstellung war Adolf Hölzel gewidmet, dem „Erfinder“ abstrakter Malerei. Dieser Glaswürfel ist ein städtebauliches und architektonisches Highlight. Von Oben blickt man auf eine Eisbahn und Bratwurstbuden, die den Schlossplatz verschandeln. Aber das sind Themen für den „Berufsspaziergänger“ Joe Bauer.
Am Bahnhof verabschiedeten wir uns. Keine 24 Stunden verbrachte ich in Stuttgart und fuhr mit dem Gefühl, hinter die Kulissen einer Stadt geschaut zu haben.
Joe blieb und bereitete sich auf das nächste Spiel seines Vereins vor, den Stuttgarter Kickers. Stuttgart hat Joe Bauer leidensfähig gemacht.

Mittwoch, 12. August 2009

T-Shirts

Bedruckte T-Shirts gehen gar nicht mehr, sind total uncool. Viele wollen nach New York, andere nach Bornheim. Etliche waren bei einem Popkonzert aber die meisten machen Werbung, und zahlen dafür. Und der milchgesichtige Junge in seinem Thor Steinar Hemdchen wusste vielleicht gar nicht, was er da trug.

Samstag, 6. Juni 2009

Der Jaja

Jeden Freitag, pünktlich um 18 Uhr 45, betritt der Jaja das Klabunt. Ich sitze am Tresen, trinke mein Wochenendbier und der Jaja setzt sich ebenfalls an den Tresen. Er tut dies nicht meinetwegen, er weiß gar nicht wer ich bin oder wie ich heiße. Es weiß auch niemand, wie der Jaja heißt.
Aber der Jaja weiß wie der Wirt heißt.
„Der Andreas soll ma widder runner komme“, so sprach der Jaja heute. „Runner“ ist ein Ort, an dem es einen Thomas gibt.
„Grüße vom Thomas, gell!“
Der Jaja ist Handlungsreisender in Sachen Grußübermittlung, ein Grußhausierer. Unverlangt, zuverlässig und pünktlich trägt er Grüße von oben nach unten und von unten nach oben. Jeden Freitag überbringt er Grüße vom Thomas für den Andreas. Die durchdringende Stimme, mit der er dies tut, steht in seltsamem Kontrast zu seiner traurigen Gestalt.
Der Jaja ist ein dünner Mann unbestimmten Alters, mit schütterem Haar und einer silberfarbenen Kassenbrille. Sommers trägt er eine kurze helle Stoffhose, die ehemals eine lange, sicher noch hellere Stoffhose war, sowie ein T-Shirt, das vor vielen Jahren mal neu war. Die kurze Hose offenbart dünne, krampfadrige Beine, die in Turnschuhen stecken. Was sich in dem Stoffbeutel befindet, den er stets bei sich trägt, weiß nur er alleine.
Den Namen der Wirtin des Klabunt kann sich der Jaja nicht merken. Sie ist schlicht „die Scheffin“.
„Scheffin, isch trink heut ma `n Kaffee.“ Das ist nicht überraschend, der Jaja trinkt immer Kaffee, niemals Alkohol. Stets verlangt er auch nach mehr als dem einen, zum Kaffee gereichten, Keks. Es entgeht es ihm dann auch nicht, wenn plötzlich, von Freitag zu Freitag, die Kekssorte gewechselt wurde.
„Des sinn aber annere als letztes Ma. Klaaner sinn se auch. Schmegge tun se abber genauso.“ So sitzt er dann zufrieden mit seinem Kaffee und seinen vier Keksen am Tresen und gibt hin und wieder ein deutlich vernehmbares „ja, ja“ von sich. So kam der Jaja zu seinem Namen.
Der Unterschied zwischen einem Profigrüßer wie dem Jaja und einem Amateur wie mir liegt auf der Hand. Der Profi lässt sich seine Dienste bezahlen.
„Scheffin, gibste mer ma zwei Euro!“
Das Klabunt ist auf diese freitägliche Forderung vorbereitet. Auf der Zapfanlage steht ein Puppenstubenbembel. Darin landet all das „rote Geld“, die Ein-, Zwei- und Fünfcentmünzen, die seltsamerweise auch in einem Wirtshaus anfallen. Manchmal verirrt sich auch eine größere Münze in den winzigen Bembel. Nach einem groben Überblick über den Ertrag stopft sich der Jaja zufrieden die handvoll Münzen in die Hosentasche und verlässt nach zwanzig Minuten das Lokal, nicht ohne die Ermahnung, der Andreas solle mal wieder runner komme. Der Kaffee und die Kekse gehen aufs Haus. Wie jeden Freitag.
Niemals käme der Jaja auf die Idee, an einem anderen Tag als dem Freitag die Grüße vom Thomas zu überbringen. Ich habe ihn schon an anderen Tagen am Klabunt vorbeigehen sehen. Nie hatte er auch nur einen Blick für das Wirtshaus übrig. Unbeirrt zog er seines Wegs.
Gerne wüsste ich wie viel Grüße der Jaja wöchentlich so übermittelt und wer die jeweiligen Absender und Empfänger sind. Manchmal sehe ich ihn, wie er das „China Bistro Fröhlich“ gegenüber vom Klabunt betritt. Wen grüßt er dort und von wem? Die Entlohnung dürfte aber auch im „China Bistro Fröhlich“ die selbe sein, zwei Euro, eine Tasse Kaffee und vier Kekse, so das „China Bistro Fröhlich“ Kekse zum Kaffee reicht. Vielleicht gibt es auch chinesische Glückskekse.
Auch ist mir nicht bekannt wann der Jaja beim Thomas die Grüße für den Andreas abholt. Aber wahrscheinlich erfolgt die Übergabe folgendermaßen:
„Der Thomas soll ma widder nuff komme. Grüße vom Andreas, gell!“

Donnerstag, 4. Juni 2009

Im Speisewagen

Neulich im ICE. Der Zug war voll, ich hatte keine Platzkarte und setzte mich gleich in den Speisewagen. In Aschaffenburg stieg ein Mann zu, setzte sich an einen Nachbartisch. Die Schaffnerin kam, der Mann hatte keinen Fahrschein:
„ich muß nachlösen aber ab hanau ich bin schon von hanau nach aschaffenburg mit dem regionalexpress gefahren schwarz unabsichtlich ich wollte keine stunde warten und wußte nicht dass man im regionalexpress keine fahrkarten kaufen kann ich fahre ja nur ice sie können auch ab hanau ice durchbuchen das ist mir egal ich bin ja nicht besonders christlich aber unehrlichkeit kann ich nicht leiden.“
Er bestellte dann ein Cola-Bier.

Rolltreppe

Neulich im Hauptbahnhof. An der Rolltreppe bildetet sich ein kleiner Stau mt Reisenden. Zwischen ihnen ein mitteilungsfreudiger Mann ohne Gepäck. Er ließ einem Anderen mit Rollkoffer den Vortritt. Dieser bedankte sich. Darauf der Mann: „Isch hab Zeit. Ob isch die Rolltrepp nehm oder die nächst, is egal.“

Montag, 25. Mai 2009

Giveaways

Neulich, als ich mir ein neues Uhrenarmband kaufte, wurde mir beim Bezahlen ein Exemplar der Zeitschrift „Freundin“ überreicht. Ich nahm es dankend und entsorgte es zu hause.

Einige Tage später, ich hatte mir eine neue Jeansjacke gekauft, wurde mir beim Bezahlen eine Handvoll Body-Lotion in die Hand gedrückt, Body-Lotion für Frauen. Die habe ich noch.

Einige Tage später war ich in dem selben Laden, in dem ich das Uhrenarmband gekauft hatte, um eine neue Batterie in eine Uhr einbauen zu lassen. Das wieder angebotene Exemplar der Zeitschrift „Freundin“ lehnte ich dieses Mal ab.

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