Hackensack

Samstag, 1. Mai 2010

Ist das noch Popmusik – Clogs, The Creatures in the Garden of Lady Walton

Clogs_Niemals hätte ich von einer Brooklyner Band namens Clogs gehört, wenn ich nicht ein Fan wäre, ein sehr großer Fan von Shara Worden, die als My Brightest Diamond firmiert. Ich tue das, was man als Fan so tut. Ich bin Abonnent ihres Newsletters, ich folge ihr auf Twitter, mir „gefällt“ (bis vor kurzem durfte man einfach noch „Fan“ sein) ihre Facebookseite, ich fahre auch mal mitten in der Woche ein paar hundert Kilometer um sie live zu sehen und ich habe das Bestreben, jedes Stückchen Musik, das sie irgendwo veröffentlicht, zu besitzen, in welcher Form auch immer. Allerdings habe ich es mir versagt, ein T-Shirt am Mechandisingstand in der Schorndorfer Manufaktur zu kaufen. Das bereue ich mittlerweile.
Die Online-Aktivitäten von Shara Worden sind rar, sie konzentriert sich auf das Wesentliche, ihre Musik. Ein neues, eigenes Album ist derzeit noch nicht in Sicht. Statt dessen ist sie mit zahlreichen Gastauftritten beschäftigt, z. B. auf der letzten Platte von The Decemberists oder bei dem neuen Werk von David Byrne.
Jetzt also mit Clogs, dem Kammerpop Projekt des The National Gitarristen Bryce Dessner. Shara Worden singt auf sechs der zehn Songs ihrer letzten Platte.
The Creatures in the Garden of Lady Walton heißt das mittlerweile fünfte Album der Band. Es ist das erste mit Songs nach vier rein instrumentalen Alben. Verantwortlich für die Musik zeichnet die Geigerin der Clogs, die Australierin Padma Newsome. Neben Shara Worden wird die vierköpfige Band von einem Streichquartett sowie von Bryce Dessners Kollegen von The National, Matt Berninger, als auch von Sufjan Stevens unterstützt. Hier ist also ein Teil der Brooklyner Musikprominenz versammelt. Wahrscheinlich muß man in Brooklyn eine halbe Stunde telefonieren und am nächsten Tag treffen sich die Musiker, die man braucht, im Studio. Vieles vom dem, was aus Brooklyn kommt ist sehr ambitioniert, seien es Anthony and the Johnsons, The National, The Decemberists oder auch My Brightest Diamond. Dennoch, einen „Brooklyn Style“ gibt es nicht. Hier werden die Stile gemischt, es gibt keinerlei Berührungsängste. Rock, Jazz, Folk, Klassik alles dient als Inspirationsquelle für Brooklyner Bands. So wundert es nicht, wenn die Clogs auf ihrer MySpace Seite die „Energie der Rockmusik“, die „Melodien der Folkmusik“ und die „Finesse der Kammermusik“ als Inspirationsquellen genannt werden. Man könnte getrost noch Minimal Music hinzufügen. Als Einflüsse werden weiterhin u. a. John Cage, Steve Reich, Philipp Glas, Beethoven und Brahms genannt. Mir kam auch hin und wieder das Penguin Cafe Orchestra in den Sinn.
Gleich das erste Stück Cocodrillo entführt uns in längst vergangene Welten. Das vielstimmige a capella Stück klingt wie ein Coral. Gefolgt von einem Instrumental I Used To Do bei dem eine E-Gitarre die Hauptstimme übernimmt und an Filmmusik erinnert. Dann folgt mit On the Edge ein Track, bei dem Shara Wordens Qualitäten als gelernte Opernsängerin zu Tragen kommen. Es ist keine bessere Sängerin als Shara Worden für dieses Projekt denkbar.
The Creatures in the Garden of Lady Walton ist ein ruhiges, sehr schönes, abwechslungsreiches, kammermusikalisches Album. Nicht für jeden Tag aber für manche blaue Stunde ist das der ideale Soundtrack. Und als Fan bin ich natürlich dankbar für diese Perle. Ob das nun Popmusik ist oder nicht, ist mir dann auch völlig egal.

Clogs bei MySpace

Clogs Website

Samstag, 27. Dezember 2008

Nachweihnachtsgedanken

Das Schöne an Weihnachten ist, dass man wieder Radio hören kann, wenn es vorbei ist. Es sei denn, man wohnt im Einflussbereich des Hessischen Rundfunks; den kann man nie hören. Und jetzt wurde beim HR auch noch „Der Ball ist rund“ abgewickelt. Soll eine gute Musiksendung gewesen sein. Ich habe sie nie gehört, weil ich den Hessischen Rundfunk erst gar nicht in meine Programmliste aufgenommen habe.
Heute ist der zweite Weihnachtsfeiertag, es flaut also ab. Was im Radio läuft, weiß ich nicht. Ich höre John Zorn, The Dreamers. Eigentlich auch eine schöne Weihnachtsplatte, wenngleich John Zorn sicher nicht auf die Idee käme, eine Weihnachtsplatte aufzunehmen, obwohl man ihm wahrlich alles zutrauen kann.
Ich besitze tatsächlich auch eine Weihnachts-CD, Chet Baker, Silent Night. Wurde mir mal, mitten im Sommer, von einer Freundin geschenkt. Eigentlich ist sie ganz nett, also die Freundin. Dieses Jahr habe ich sie nicht mitgenommen zu meinen Eltern, also die CD. Nicht um meine Eltern zu schonen (sie haben die 80 schon überschritten und wurden ein bisschen nervös, als ich erstmals zu Weihnachten die Chet Baker CD auflegte), sondern weil mein Bruder sich letztes Jahr zur gleichen Zeit eine Kopie davon gemacht hat. Er hatte sie dabei, aber der CD-Spieler meiner Eltern (Yamaha) wollte sie nicht erkennen und daher auch nicht abspielen. Aber wir mussten natürlich nicht ohne Weihnachtsmusik auskommen. Mein Vater besitzt selbstverständlich eine CD mit Weihnachtsliedern. Klassische Lieder in einer klassischen Interpretation, mit Männerchor und Orchester und allem was dazu gehört. Das war schön. Er bevorzugte „Oh, Du Fröhliche“, mir ist „Stille Nacht“ lieber. Vielleicht auch wegen Chet Baker.
Jeder Hansel, der ein Mikrophon, eine Gitarre, oder sonst ein Instrument, halten kann, nimmt eine Weihnachtsplatte auf, alle Jahre wieder. Das Zeug wird dann ab Anfang Oktober rauf und runter gedudelt. Selbst der olle Elvis wurde reanimiert. Ihm wurden irgendwelche Hupfdohlen an die Seite gestellt, um mit dem Untoten Weihnachtslieder zu singen. Ich habe ein oder zwei davon gehört, es war das Grauen. Ich finde ja Elvis alleine schon grausam genug, aber das haute dem Baum die Spitze weg. Wenigstens Sonic Youth hat noch nie eine Weihnachtsplatte aufgenommen.
Nein, ich habe außer Chet Baker noch ein Weihnachtslied im Regal. John Lennons „Oh This Is Christmas“. Aber nicht mal das habe ich mir angetan, obwohl es ja schon ein schönes Liedchen ist. Aber es gibt bessere Weihnachtslieder von John Lennon. Sie heißen „Give Peace A Chance“ und „Imagine“. Wäre ich über Weihnachten in New York gewesen, ich hätte am John Lennon Memorial „Strawberry Fields“ im Central Park eine Kerze angezündet.
Statt dessen hocke ich zu hause und sinniere, ob dieses Weihnachten anders war als die anderen Weihnachten. Das traditionelle Weihnachtsessen am 24.12., gepökelte Rinderzunge mit Kartoffelsalat war gut, sehr gut sogar. Besser als letztes Jahr. Und die Kekse meiner Mutter waren auch wieder vom Feinsten. Es gab sogar einen richtigen, kleinen, lebendigen Weihnachtsbaum. Im Topf, mit Wurzeln und Erde und richtigen Kerzen. Gut, wir hatten keinen Chet Baker, aber dafür Männerchöre. Und ich habe John Zorn, The Dreamers. Träumen ist was Feines zu Weihnachten. Besonders wenn dieses Träumen von einem der besten Gitarristen der Welt begleitet wird, Marc Ribot. Aber der ist nun mal Jude wie John Zorn auch. Man sollte zur Weihnachtszeit am besten Musik hören von Leuten, die mit Weihnachten nichts am Hut haben, Juden z. B., oder Moslems oder Hindus, oder Atheisten. Solche Musik kann man noch für ein paar Tage auf „Radio Multikulti“ vom RBB hören. Aber ab dem 1. Januar 2009 ist auch damit Schluß. Wir müssen also wieder Elvis ausbuddeln.
Dennoch gibt es eine gute Nachricht für das neue Jahr, und das will in diesen Tagen etwas heißen. 2009 erscheint eine neue CD von My Brightest Diamond. Das können sie sich ja schon mal auf den Wunschzettel für Weihnachten 2009 schreiben. Denn das kommt sicher wieder so überraschend wie jedes Jahr.
ALLES GUTE FÜR 2009!

Dienstag, 7. Oktober 2008

My Brightest Diamond

Shara Worden – Eine Hommage

Die Musikerin steht in einem hell erleuchteten Raum vor einem Mikrophon, zwei Glasschränke mit Büchern hinter ihr an der Wand. Sie trägt ein rotes T-Shirt mit dem weißen Schriftzug „I read Pierre Bourdieu“. Eine halbakustische Gitarre umgehängt, sagt sie ungefähr Folgendes: „Mein Name ist Shara, ich komme aus Brooklyn, New York. Ich habe eine Band, die heißt My Brightest Diamond. Manchmal besteht die Band aus einem Streichquartett und einem Drummer. Manchmal nur aus einem Streichquartett, manchmal nur aus einem Drummer und manchmal auch nur aus mir.“
Bevor Shara Worden als My Brightest Diamond unterwegs war, leitete sie eine Band namens Awry. Mit Awry veröffentlichte sie zwei CDs. Die erste, selbstbetitelte, ist nur schwer zu kriegen und die zweite, mit dem koketten Titel The Quiet B-Sides, wurde unlängst wiederveröffentlicht. Sie ist bei abgelegenen Versandhändlern verfügbar. Die MySpace Seite von Awry gibt hierüber Auskunft. The Quiet B-Sides ist eine spröde, zerbrechlich klingende Platte, die durchaus ihren Zauber hat. Kein Baß, kein Schlagzeug. Nur die Gitarre von Shara Worden und hin und wieder ein gezupftes Cello. Ein billiges Keyboard ist auch ab und an zu vernehmen. Auf dem französisch gesungenen Youkali erklingt ein Akkordeon, von ihr selbst gespielt. Und natürlich die wunderbare Stimme Shara Wordens. Es ist ein Album, auf dem sie ihren Weg sucht. Aber schon hier lässt sie ihre Fähigkeit erahnen, wunderbare, eingängige Melodien zu schreiben.
Shara Worden ist in einer Musikerfamilie aufgewachsen. Ihr Vater ist ein mehrfach ausgezeichneter Akkordeonspieler, ihre Mutter klassische Organistin. Shara selbst sang schon früh in einem Kirchenchor. Später studierte sie klassischen Gesang und nennt heute ein Diplom als Opernsängerin ihr eigen
Wenn über Shara Worden geschrieben oder gesprochen wird, fallen regelmäßig die Namen Kate Bush, Beth Gibbons und P.J. Harvey. Diese Vergleiche sind so überflüssig, wie richtig und falsch. Mit Vergleichen wird man Shara Worden nicht gerecht, sie ist sehr eigen und sehr einmalig. Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass sie die genannten Musikerinnen durchaus schätzt.
2006 erschien dann das erste Album unter dem Namen My Brightest Diamond, Bring me the Workhorse. Hier ist das ausformuliert, was mit Awry nur angedeutet war. Ein kammermusikalischer Ansatz in der zeitgenössischen, populären Musik. Die Streicher spielen keine untergeordnete Rolle mehr sondern sind unverzichtbarer Teil von Shara Wordens Konzept. Sie liebt den Kontrast zwischen Streichern, Schlagzeug und elektrischer Gitarre. Per Zeitungsanzeige suchte sie die Streicher für diese Aufnahme. Es sollten Musiker sein, die sowohl Pierre Boulez als auch P.J. Harvey hörten. Diese beiden Pole stecken den Horizont ab, in dem sie sich bewegt. Das Album ist voll von Balladen, manchmal elegisch, oft kraftvoll und von einer schier unglaublichen Musikalität. Ihre kompositorischen Qualitäten stehen ihren stimmlichen in nichts nach. Auf Freak Out zeigt sie, dass sie es auch versteht, herrlichen Krach zu veranstalten. Hin und wieder zersägt sie auch mit ihrer aggressiv gespielten Gitarre die sanften Klänge des Streichquartetts. Manche ihrer Songs sind durchaus auch in einer Fassung von Sonic Youth mit der Stimme von Kim Gordon vorstellbar.
Shara Worden verschickte die Songs von Bring me the Workhorse an diverse DJs, verbunden mit der Bitte, die Titel zu bearbeiten. Heraus kamen dreizehn Remixtracks, die 2007 unter dem Titel Tear it Down erschienen sind. Die Clubversion von Bring me the Workhorse sozusagen. Viele dieser Remixe sind sehr gelungen. Dennoch, mir ist My Brightest Diamond pur lieber.
Bevor Bring me the Workhorse erschien, war Shara Worden Mitglied der Band von Sufjan Stevens, auf dessen Label Asthmatic Kitty auch die Alben von My Brightest Diamond erscheinen. Sie stand u. a. auch mit den Decemberists und The National auf der Bühne.
In diesem Jahr erschien ihr aktuelles Werk, A Thousand Shark`s Teeth, auf dem auch ihr Vater am Akkordeon zu hören ist. Als Einflüsse für dieses Album nennt sie Tricky, Ravel, Tom Waits, den deutschen Maler Anselm Kiefer sowie Alice im Wunderland. Es geht hier also zugleich verspielt, leicht und bedeutungsvoll zu.
Der erste Song der Platte, Inside a Boy, ist ein fast schon rockiger Ohrwurm. Ein wundervoller Einstieg. Es gibt keinen Ausfall auf dieser CD, jeder Song hat Qualität und zeugt von der musikalischen Meisterschaft Shara Wordens. A Thousand Shark`s Teeth ist ein kammermusikalisches Popwunder.
Die Beschäftigung mit der Oper zeigt sich in ihrer Vorliebe für ausgefallene Kostüme, mit denen sie manchmal auf der Bühne steht. Es kann auch vorkommen, dass Shara Worden ihre Shows mit Zaubertricks und Schattenspielen auflockert.
Auf den beiden Alben finden sich keine Coverversionen. Live spielt sie aber gerne eigene Versionen von Songs anderer Musikerinnen und Musikern. Vor allem immer wieder die von Edith Piaf, aber auch Nina Simone, Roy Orbison und Bill Withers. Etliche Videos legen davon Zeugnis ab.
Seit dem 23. September gibt eine neue EP von My Brightest Diamond, From the Top of the World. Diese EP, mit vier Stücken, gibt es allerdings nur bei iTunes als Download. Es bleibt die Hoffnung, das diese vier Songs möglicherweise Bestandteil eines neuen Albums sein könnten. Auf dieser EP sind dann auch Coversongs zu finden, natürlich von Edith Piaf, aber auch von Kurt Weill.
Ich warte allerdings auf etwas ganz anderes, nämlich ein Soloalbum von My Brightest Diamond. Etliche Youtube Videos belegen welch enorme musikalische Ausdruckskraft sie auch ohne Streicher und Band hat, nur mit ihrer Stimme und ihrer Gitarre.
Bis dahin folge ich gerne ihrem Satz „Come and fly away with me“. Das geht auch vom heimischen Sofa aus.

Samstag, 29. Dezember 2007

Meine TOP 10 Alben 2007

1. Robert Wyatt – Comicopera
Domino / Rough Trade

Weil jede Platte von RW ein Meisterwerk ist, so auch diese. Niemand schreibt Melodien wie Robert Wyatt und niemand singt wie Robert Wyatt. Er bleibt sich seit Jahrzehnten treu. Und er hat was zu sagen. Und diese Musik wird niemals alt.

2. Joe Henry – Civilians
Anti / SPV

Weil JH es verdient hat, endlich mal als der anerkannt zu werden, der er ist - einer der großartigsten Singer/Songwriter, die wir zur Zeit haben. Mit diesem Album hat er das eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

3. Animal Collective - Strawberry Jam
Domino / Rough Trade

Weil die New Yorker Spaß haben am Experiment, Songstrukturen uninteressant sind und sie doch die Melodien nicht vergessen. Sehr schräg, sehr schön. Das gilt auch für die Videos.

4. Vic Chesnutt - North Star Deserter
Constellat / ALIVE

Weil VC sich mit diesem Album wieder als genialer Songwriter erwiesen hat und wunderbar zwischen Ballade und erhabenem Krach pendelt. Eine Perle!

5. Radiohead - In Rainbows
XL / Indigo

Weil Radiohead seit Jahrzehnten Musik vom Allerfeinsten abliefern. Und immer noch nicht zu müde sind um ein solch grandioses Werk abzuliefern. Und weil sie virtuos und unverwechselbar sind. Und weil ich die Stimme von Thom Yorke mag.

6. Rufus Wainwright - Release the Stars
Geffen / Universal

Weil diese Musik pure Schönheit ist.

7. P.J. Harvey - White Chalk
Island / Universal

Weil P.J. hier beweist, daß wenig oft mehr ist. Einfache Musik, schöne Songs, sehr kunstvoll und ergreifend.

8. The Good, The Bad & The Queen
EMI

Weil diese "Supergroup" nicht abhebt, sondern eine schlichte und sehr "bescheidene" Musik präsentiert. Und weil es mich freut mal wieder was von Paul Simonon zu hören. Auch wenn es von dieser "Band" nichts mehr zu hören geben wird, das wird bleiben.

9. The Coral - Roots & Echoes
Red Ink / Rough Trade

Weil die Songs dieser Platte sich auf das Angenehmste ins Ohr schmiegen und dort bleiben. Und wer Songs wie "Jacqueline" und "Rebecca You" schreiben kann, hat es allemal verdient, in einer Best Of Liste zu erscheinen.

10. The Pierces - Thirteen Tales of Love and Revenge
Lizard Kin / Rough Trade

Weil die Schwestern so tun, als hätte es noch nie vorher eine Girlgroup gegeben und wunderbare Ohrwürmer darbieten, die einfach gute Laune machen.

Mittwoch, 19. Dezember 2007

Wer ist Joe Henry

Wer ist Joe Henry?

Wer ist eigentlich Joe Henry und weshalb wusste ich das bis vor einigen Wochen selbst noch nicht? Weshalb musste wieder Freund HPunkt herhalten um meine musikalischen Wissenslücken zu schließen?
Jeder kennt Van Morrison, Tom Waits und Elvis Costello. Aber keiner kennt Joe Henry. Ein deutliches Zeichen für die Ungerechtigkeit dieser Welt. Die Recherche im Netz nach Joe Henry ist ein mühsames Geschäft. Es ist, von einigen wenigen, kurzen Fanbeiträgen und kurzen Zeitungsartikeln abgesehen, so gut wie nichts über ihn zu finden.
Mit den drei genannten Namen ist das Terrain abgesteckt, in dem sich Joe Henry bewegt - auf gleicher qualitativer Höhe bewegt. Er muß sich hier nicht verstecken, und doch scheint es, als hätte ihn jemand hinter diesen Namen versteckt.
Henry ist Singer/Songwriter, verwurzelt, wie so viele, in der Country Music. Aber Joe Henry ist auch Jazzer. Das sind die Pole, zwischen denen er sich bewegt, Country und Jazz.
Auf seiner Website, die erstaunlicherweise auf eine Discographie verzichtet und sich ausschließlich seinem letzten Werk „Civilians“ widmet, finden sich neben den üblichen Pressestimmen, Tourdaten und einem Kochrezept, (Spare Ribs Tuscan Style With White Wine, Garlic and Sage), auch ein Aufsatz Henrys über die Thelonius Monk Komposition „Hackensack“, sowie über seinen Lieblingsjazzer, den Saxophonisten Ornette Coleman (The Ghost in a Song). Und dieser ist dann auch auf der besten Joe Henry Platte zu hören, „Scar“ aus dem Jahre 2001.
„Scar“ ist das Meisterwerk Joe Henrys, dem auf jeder Best of Ever Liste ein Top Ten Platz gebührt. Trotzdem taucht diese Platte auf keiner dieser Listen auf. Wie kann es sein, dass so etwas übersehen, besser, überhört wird. Amazon bietet zu dieser Platte nicht mal Hörproben. Aber hier http://mammoth.go.com/joehenry/ kann man sich das ganze Werk kostenlos in voller Schönheit anhören. Neben dem bereits genannten Ornette Coleman finden sich neben anderen noch weitere illustre Namen auf der Besetzungsliste; Brad Mehldau, Me`shell Ndegeocello und auch Marc Ribot, der vielseitige Gitarrist, der u.a. auch schon mit Tom Waits und Elvis Costello zu hören war.
Die ersten beiden Platten Henrys, „Talk of Heaven“, 1986 und „Murder of Crows“, 1989, waren handwerklich solide, aber doch recht uninspirierte Country-Rock Werke, die niemanden vom Sessel rissen.
Erst mit dem dritten Album von 1990, „Shuffletown“, zeigte sich die große Kunst Henrys, nämlich Country Musik zu schreiben, die jazzig klang. Sicher lag das auch an Don Cherry, der die Trompete spielte, sowie an Cecil McBee am Bass. Aber auch diese Platte erreichte nur einen kleinen Kreis Eingeweihter. Amazon.de verzeichnet einen Anbieter, der die CD für € 76,99 feilbietet.
Es folgten zwei Aufnahmen mit den Jayhawks, „Short Man`s Room“ (1992) und „Kindness of the World“ (1993). Sehr schöne Musik, Country Music, fernab jeder tümelnden Wildwest Romantik - Alternative Country heißt die Schublade. Jetzt wurde Joe Henry, nicht zuletzt durch die Jayhawks, einem größeren Publikum, wenigstens in den USA bekannt.
Es folgte 1996 „Trampoline“, die bis dato vielleicht popigste Platte Joe Henrys. Hierfür holte er sich Unterstützung von dem Helmet-Gitarristen Page Hamilton sowie Darryl Jones; dieser wie Joe Henry ein Wanderer zwischen den Welten, spielte er doch mit den Stones, mit Miles Davis, Sting oder Madonna, um nur einige zu nennen. „Trampoline“ ist ein sehr entspanntes Album, bei dem Henry Streicher sowie Samples einsetzt. Weiter hatte er sich bislang noch nicht vom Country entfernt. „Ein leises Meisterwerk, das mit minimalen Mitteln maximale Wirkung erzielt“, schrieb Stereoplay.
Auf „Fuse“ von 1999 folgt er dem Weg, den er mit „Trampoline“ eingeschlagen hat. Produziert von T-Bone Burnett und Daniel Lanois klingt er, nicht zuletzt durch eingestreute Trip Hop Elemente „moderner“ denn je. Aber auch dieser Platte ist das selbe Schicksal wie den bisherigen beschert. Sie interessiert niemanden.
2001 dann das bereits erwähnte Meisterwerk „Scar“. Meines Wissens nach auch das einzige Pop Album, bei dem sich Ornette Coleman die Ehre gibt. Hier finden sich bei Amazon wenigstens auch mal drei Kundenrezensionen und viereinhalb von fünf Punkten. Recht so. Trotz der Jazzbesetzung ist „Scar“ aber wieder ein Singer/Songwriter Album geworden, ein jazziges zwar, aber der Jazz hält sich dezent im Hintergrund. Nie war Henry näher an Tom Waits, als auf diesem Album. Besonders das Spiel des Gitarristen Marc Ribot ist zum Niederknien. Umwerfend gleich das erste Stück „Richard Pryor Addresses a Tearful Nation“. Eine traumhafte Ballade, die von einem gänsehauterzeugenden Solo Ornette Colemans abgeschlossen wird.
Der Jazz hat es Joe Henry natürlich unüberhörbar angetan. Ganz deutlich wird dies auf dem 03er Album „Tiny Voices“ , einem leider etwas überambitionierten Werk, das sich nicht entscheiden kann, was es sein will, Jazz oder Song. Es ist ein gutes Album, keine Frage, aber wir sind mittlerweile von Joe Henry Besseres gewohnt. Aber auch hier ist die Besetzungsliste wieder von Allerfeinsten. Neben dem Drummer Jim Keltner, der mit allen Größen des Rock und Pop Business gearbeitet hat, wirken der Trompeter Ron Miles und der Klarinettist Don Byron mit.
In diesem Jahr gab es dann endlich wieder ein neues Joe Henry Album „Civilians“. Hier ist er wieder ganz der Singer/Songwriter, auch wenn er sich mit Bill Frisell wieder einen Jazzgitarristen in`s Studio geholt hat. Der allerdings hat selbst schon mal ein eigenes Country Album aufgenommen, „Nashville“ (1997). Und auf der großartigen Platte von Vic Chesnutt , „Ghetto Bells“ (2005) wirkt er auch mit. Frisell ist also den musikalischen Umgang mit Singer/Songwritern gewohnt. „Civilians“ ist ein swingendes, teilweise auch rockendes Album und gehört für mich zu den 5 besten Platten in 2007, und wenn es nur für diesen Satz ist: “Live is short, but by the grace of God, the night is long.“ Große Teile des Albums kann man sich hier anhören: http://www.joehenrylovesyoumadly.com/

Auch wenn man von den genannten Platten noch nie was gehört hat, könnte man trotzdem den Namen Joe Henry schon mal gehört haben. Schließlich hat er schon einen Grammy im Regal. Verliehen für seine Produktion des Solomon Burke Albums „Don`t Give Up On Me“. Das Produzieren ist sozusagen sein Hauptberuf. So produzierte er unter anderem Aimee Mann, Betty LaVette, Elvis Costello und Alain Toussaint sowie zuletzt Loudon Wainwright III.
Und auch ich hätte schon mal über den Namen Joe Henry stolpern können, bevor mir HPunkt auf die Sprünge half. Er wirkt auf einer meiner Lieblingsplatten mit, nein, nicht bei Sonic Youth, aber auf der wunderbaren Platte „Wrong Eyed Jesus“ des Alternative Country Manns Jim White ist er bei drei Stücken zu hören. Aber das ist ein anderes Thema.

Im Februar 2008 kommt Joe Henry nach Europa. Bis heute gibt es noch keinen Termin in Deutschland!


P.S. Beinahe hätte ich es vergessen. Kann ja sein, dass das jemand interessiert. Joe Henry ist der Schwager Madonnas.

Donnerstag, 8. März 2007

Grönemeyer und kein Ende

Die Zeiten sind schlecht. Bald darf man in der Kneipe nicht mehr rauchen, in 13 Jahren geht die Welt unter, also macht es auch keinen Spaß mehr, mit dem Porsche Cayenne in der Gegend rumzubrettern. Und unseren kleinen Ausflug nach Thailand wollen sie uns jetzt auch noch madig machen. Zu allem Überfluß besteht auch noch die Möglichkeit, daß die Bayern am Ende wieder Meister sind.
Zum Glück ist Trost nicht weit. Ein Gang in den Medienmarkt Ihres Vertrauens und zur neuen Grönemeyer CD gegriffen, die überall stapelweise rumliegt, als gäbe es nichts anderes. Der Barde, der sich, völlig ironieresistent, für einen "brillianten Sänger" hält, wie er SPON in einem 6 (!) seitigen Interview bekannte (gab`s schonmal ein 6 seitiges Interview mit z.B. Sonic Youth auf SPON?), hat wieder zugeschlagen. Und alle sind beglückt. Die, die es nicht sind, können hier ein kleines Preisausschreiben zu den "Barden aus dem Pott" mitmachen. Es gibt auch was Hübsches zu gewinnen.

Dienstag, 23. Januar 2007

Grönemeyer singt wieder

Jetzt geht`s wieder los mit dem morgendlichen Gerenne. Heute war`s so gegen Viertel vor Acht. Zehnmetersprint zur Anlage und den Ton weggedreht. Das letzte Wort, das sich noch in die Hörbarkeit retten konnte lautete „Namen“. Kein geringerer als SEIN Name ist es, um den es hier geht. „Hier“ heißt schlicht „Lied 1 – Stück vom Himmel“ (Lied 1, da steht zu befürchten, dass Lied 2,3,4,... folgen), die neue Single des nationalen Popheiligtums Herbert Grönemeyer, erscheint am 2. Februar, also bald – Geduld! Bis dahin dürfen wir gewiss sein, den Song täglich tausendfach auf allen möglichen Stationen um die Ohren gehauen zu bekommen. Wenn Grönemeyer singt, drehen die Sender die Regler hoch, auf dass ja jeder mitbekommt, das Uns Herbert wieder im Studio war, Deutschland zu beglücken. Da herrscht Konsens, öffentlich und privat!
Radio Eins ist ja glücklicherweise ein Sender, der seine Hörer meist verschont mit Grönemeyer, Naidoo & Co. Aber da können sie auch nicht abseits stehen und lassen sich gerne einspannen vor den Karren des Grönemeyer Managements. Also muß ich morgens wieder rennen, wenn das Geknödel erklingt, das HG singen nennt. Abends kann ich sitzen bleiben, denn dann sendet Radio Eins richtig gute Musik und da wird es Grönemeyer nicht hinschaffen.
Das Gute an Grönemeyers Knödelgesang ist, dass man den Text nicht versteht. Auf Welt.de vom 19.01.07 war der Text zu finden. Man fragt sich, was ihm widerfahren ist, eine derartig schwülstige Erweckungspoesie zu erdichten! Ist ihm der Leibhaftige erschienen oder hatte er eine Audienz bei Ratzinger? Man weiß gar nicht, was man zuerst zitieren soll aus diesem Textgeschwurbel. Vielleicht das hier:
........
Bibel ist nicht zum einigeln
Die Erde ist unsere Pflicht
Sie ist freundlich, freundlich
Wir eher nicht
.....
Das kann die Titanic nicht unkommentiert lassen. Ist doch ein gefundenes Fressen.
Oder das:
.....
Religionen sind zu schonen
Sie sind für die Moral gemacht
.....
Da freut sich der Ratzinger.

Schön auch das:
......
es gibt Milliarden Farben
und jede ist ein eigenes Rot
......
(„You can have it in any color as long as it's black.“ Henry Ford über das Model T)

Das alles – und noch viel mehr – müssen wir jetzt täglich mehrfach über uns ergehen lassen, wenn wir keine Lust auf den Sprint zum Lautstärkeregler haben. Und es wird noch schlimmer. Im Sommer, wenn die neue LP da ist, geht Gröni auf Tour und füllt wieder wochenlang die Stadien der Republik.
Dabei gibt es doch auch gute Musik, Sonic Youth zum Beispiel, oder ..... ja, es gibt schon verdammt viel gute Musik.

Dienstag, 14. November 2006

Scritti Politti hören

Ich mag keine elektronische Musik (ich mag Gitarren und Saxophone und handgemachte Klänge) und ich weiß fast nichts über Scritti Politti. Als die Band in den 80igern mal groß war, habe ich was anderes gehört, Jazz und so. Aber nicht Scritti Politti. Miles Davis hat die Band (ist das überhaupt eine Band?) mal als Gastmusiker geadelt (und welche Popband kann das schon von sich behaupten?). Als Jazzer ist das bei mir hängen geblieben, gleichwohl ich die Aufnahme wahrscheinlich nie gehört habe.
Neulich hat mir dann mein guter Freund HPunkt eine nackte Kopie zweifelhafter Herkunft in die Hand gedrückt (Hör dir das mal an!), Scritti Politti, White Bread, Black Beer (bei dem Frühstück wär ich gern dabei gewesen). Auf HPunkt ist Verlaß, in musikalischen Dingen und überhaupt.
Wieder zuhause, holte ich mir bei Amazon das Cover (ganz prima). Ich mag keine nackten CDs. Schlichtes Design, weiße Schrift auf braunem Grund. Sieht aus wie ein englisches Wirtshausschild, also einladend. Die CD war eingelegt, der Wein (nein, kein Guiness) offen, das Glas gefüllt und ich drückte die Starttaste.
Das erste Stück, The Boom Boom Bap. Sanfte, sparsame elektronische Klänge, ein unglaublicher Gesang, und ich hatte die Beach Boys im Ohr, und Simon and Garfunkel, und Robert Wyatt, und Sonic Youth. Wieso Sonic Youth? Keine Ahnung, aber ich komm noch drauf.
Das also ist Scritti Politti, das ist elektronische Musik und ich war hinundweg. Wer kann solche Melodien schreiben, wer kann so singen? [Mittlerweile weiß ich es, der Mann heißt Green Gartside] Der Straßenlärm war vergessen, die ganze Welt dazu. Wie konnte ich diese Band (die ja keine Band ist) all die Jahre überhört haben? Wahrscheinlich weil sie so still sind. Heutzutage muß man die Stille suchen.
Und das alles ohne Gitarren: Na ja, nicht ganz. Im dritten Stück, Snow In Sun, ist sehr dezent eine akustische zu hören. Und im zehnten Titel, dem wunderbaren Window Wide Open, erklingt sogar ein kleines, feines Solo, auf `ner richtigen E-Gitarre. Im sechsten Stück, Dr. Abernathy, klingen sie sogar wie `ne richtige Rockband, ebenso im letzten, Robin Hood. Aber nur kurz.
Es wird gesungen, also gibt es Texte. Gesungene Texte interessieren mich nicht. Wenn ich einen Text will, lese ich ein Buch. Wörter in der Musik sind für mich Klang, sie müssen klingen und singbar sein. Also achte ich auch nicht auf den Text auf White Bread, Black Beer. Dennoch ist mir ein tröstlicher Satz aufgefallen, im siebten Stück, After Six (schöner Titel für ein siebtes Stück), "Jesus, keep Your Love away from me. Jesus, keep Your hands, where I can see." Der muß sich ja auch nicht überall einmischen.
Auf diesem Album sind vierzehn Kleinode versammelt, die man sich dringend allein anhören sollte. Eventuell Anwesende sind gehalten, für die nächsten einundfünfzig Minuten und siebenundzwanzig Sekunden die Klappe zu halten. Diese Musik duldet keine Störung. Und nach dem letzten Stück hat man eine Ahnung davon, was Glück sein kann. Scritti Politti hat eines der großartigsten Pop Alben abgeliefert, das mir in den letzten Jahren untergekommen ist und von dreiundachtzig zu vergebenden Punkten würde ich hier glatt achtundsiebzig verteilen. Das ist doch was! Und wieso ich beim Hören an Sonic Youth denken muß, darauf komme ich auch noch.

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