Dies und das

Dienstag, 3. August 2010

Ich bin umgezogen.

http://geyst.wordpress.com/

Freitag, 18. Juni 2010

Fan-Plunder

WM01
„Aufhören!“, schreit der aktuelle Spiegel die Kanzlerin und den Außenminister an. Er tut dies, in seltener Einmütigkeit mit der TAZ, Bild, FAZ u.s.w. Es heißt, nur noch ein Wunder könne die Regierung retten, das Wunder von Südafrika. Manch einer führt wieder das Wort vom Sommermärchen im Mund, nach einem einzigen, zugegebenermaßen, sehr guten Spiel gegen eine allerdings schwache Mannschaft.
„Aufhören!“ möchte man auch der einen oder anderen Fußballmannschaft da unten am Kap zurufen. Es ist oft nur schwer erträglich, wie bei dieser WM rumgekickt wird. Ich schau mir das alles dennoch an, denn ich mag Fußball. Was allerdings der mühevolle Sieg Brasiliens gegen die Nord-Koreaner mit Osama Bin Laden zu tun hat, bleibt ein Geheimnis von T-Online.
Wie gesagt, ich mag Fußball, dennoch bin ich froh, wenn diese WM endlich vorbei ist. Es ist nicht auszuhalten, nicht nur diese teilweise unsäglichen Spiele, sondern auch das Geschrei, das seit Monaten aus allen Medien schallt. Für jeden Blödsinn wird mit Fußball geworben, Katzenfutter, Autos, Gummibärchen, Bratwürste, Autoscheibenreparaturbetriebe und jede Menge anderes Zeug. WM03Der Abflug der Mannschaft nach Süd-Afrika im A 380 ist die Topmeldung der Abendnachrichten und über nichts wird sich mehr erbost, als über eine billige Plastiktröte. Das Gerede über das Spielzeug ist mittlerweile schwerer zu ertragen, als der Krach, den das Ding in der Lage ist, zu erzeugen. Und, mit Verlaub, Fangesänge sind nicht per se ein Ohrenschmaus, die Texte oft schon gar nicht. Wir sollten dankbar sein für die Vuvuzela.
Recht infantil scheint es auch, wenn sich erwachsene Menschen Fähnchen auf die Backe malen, Trikots anziehen, lustige Hüte oder bunte Perücken aufsetzen und in der Kneipe, beim gemeinsamen Fußballgucken, aufstehen, wenn die Nationalhymne erklingt. Ich hänge mir kein Fähnchen ans Fahrrad. Aber, so ganz konnte ich mich dem kollektiven Wahn doch nicht entziehen. Wenn alle Flagge zeigen, wollte ich nicht außen vor stehen und stellte ebenfalls eine kleine Fahne auf die Fensterbank, die Fahne von Grönland. Eine andere besitze ich nicht.
In Grönland wird auch Fußball gespielt, ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Es gibt dort eine Liga und eine Nationalmannschaft, der Deutsche Sepp Piontek war einst ihr Trainer. Das Land ist nicht in der FIFA da es ein Teil Dänemarks ist, weitgehende Autonomie hin oder her. Aber das nur nebenbei.
„Football For Hope – Builds A Better Future“ ist hin und wieder zwischen Adidas und McDonalds auf den Werbebannern der WM-Stadien zu lesen. Diese bessere Zukunft sieht dann beispielsweise so aus, wie nach dem Spiel Deutschland vs. Australien. Hunderte von Ordnern demonstrierten nach dem Spiel, weil ihnen nur ein Bruchteil der zugesagten Entlohnung ausbezahlt wurde. Die Polizei ging mit Tränengas und Gummigeschossen auf die Demonstranten los. Was die FIFA dazu sagt, ist nicht bekannt.
Gestern fand ich einen Luftpostbrief im Briefkasten, von Hand frankiert. Er stammt aus Durban, South Africa. Die Schulleiterin der Deutschen Schule dort, Frau Ruth Böhmer, bittet mich mit persönlicher Anrede und in freundlichen Worten um eine Spende für die Schule, deren Betrieb sonst gefährdet scheint, selbstverständlich steuerabzugsfähig. Es sind einige Fotos beigelegt, die den Alltag der Schule zeigen. Alles sehr idyllisch dort in Durban. Das Schulgebäude sieht aus wie eine hochwertige Ferienanlage. Auf anderen Bildern sieht man, hauptsächlich weiße, Kinder beim gemeinsamen Essen, Spielen und Lernen. Hartz IV Familien, denen jetzt das Elterngeld gestrichen werden soll, wären sehr glücklich über derartige Lern- und Spielbedingungen für ihre Kinder. Frau Böhmer bittet mich, den beigefügten Überweisungsbeleg „möglichst heute noch“ auszufüllen und zur Bank zu bringen. Der Beleg weist eine „Fördergemeinschaft für kulturelle Arbeit und Bildung im Ausland“ in Herzogenaurach als Empfänger aus. Im Netz ist über diese „Fördergemeinschaft“ außer einem schlichten Telefonbucheintrag, nichts zu finden, keine Website, keine Satzung, kein Vorstand, nichts.
Woher die Deutsche Schule Durban meine Anschrift hat, weiß ich nicht. Aber weshalb dieser Brief ausgerechnet jetzt kommt, ist einleuchtend.
WM04

Nach dem Sieg einer jungen Frau aus Hannover bei einem Sangeswettstreit würde ein eventueller Titelgewinn der Fußballer die Deutschen wahrscheinlich völlig ausrasten lassen und Merkel und Westerwelle hätten ihren Spaß. Deshalb, liebe Nationalmannschaft, scheidet doch am besten noch in der Vorrunde aus. Damit würdet Ihr dem Land mehr dienen als mit einem möglichen Titelgewinn.
Und jetzt geh ich Fußball gucken, in Zivil.

Donnerstag, 6. Mai 2010

Der Mai

Mützen sieht man allenthalben
Schirme, Mäntel ebenso
Pfützen spiegeln graue Wände
Kurze Röcke nirgendwo

Berge sind von Schnee befallen
Straßen strahlen anthrazit
Winde lassen Blätter regnen
Die Sonne hinter Wolken flieht

Verstummte Masken schleichen
Gramgebeugt ohne ein Gesicht
Der Mai ist bald vorüber
Der Winter jedoch nicht

Donnerstag, 15. April 2010

Meine Wecker

Neulich war es wieder soweit, ich musste meine Wecker auf die bescheuerte sog. Sommerzeit umstellen. Ich besitze sechs Wecker, und keiner davon ist ein Funkwecker. Der einzige Funkwecker, den ich jemals besaß, war ein Geschenk meiner Mutter. Ich war damals froh eine Antwort auf die Frage, „Was willst du denn zu Weihnachten?“, gefunden zu haben. Meistens fiel mir zu dieser Frage keine Antwort ein, ich brauchte nie etwas, wenigsten nichts, was sich meine Mutter leisten könnte. „Vielleicht einen Wecker“, antwortete ich. „einen Wecker, der mich sanft aus meinen Träumen holt“.
Sie entschied sich dann für einen Funkwecker, der mich in ansteigenden, fünfminütigen Intervallen aus dem Bett holen sollte. Er hat nicht lange überlebt. Bereits am zweiten Tag flog er, beim Versuch, das lästige Gebimmel abzustellen, vom Nachttisch. Die Batterie fiel raus und der große Zeiger wurde so verbogen, dass er am kleinen hängen blieb.
Damit ereilte ihn das selbe Schicksal wie alle meine Wecker. Ich habe noch jeden vom Nachttisch geschmissen. Die meisten zeigten dann zwar immer noch die Zeit an, weckten aber nicht mehr. Das machte sie mir sympatisch, und ich habe sie nicht entsorgt, nur weil sie vom Wecker zur normalen Uhr mutierten.
Der Funkwecker war nicht der erste, den mir meine Mutter schenkte. Schon vor einigen Jahren beantwortete ich die Weihnachtsfrage mit „Einen Wecker vielleicht“. Wahrscheinlich hatte ich kurz vorher mal wieder einen unbrauchbar gemacht. Sie schenkte mir dann ein Monstrum im Retrodesign vom Kaffeeröster. Auch der flog nach einigen Tagen vom Nachttisch. Allerdings ging dabei nur das Glas zu Bruch, ansonsten funktionierte er noch. Noch heute steht er neben meinem Bett, wo ich ihn aber eigentlich nicht mehr brauche. Zumal sein morgendliches Geklingel nur sehr schwer zu ertragen ist. Ein Tag, der mit so einem furchtbaren Geräusch beginnt, kann kein guter Tag werden. Irgendwann habe ich den Retrowecker durch ein moderneres Modell ersetzt, ebenfalls vom Kaffeeröster. Ein kleiner Wecker im Taschenformat in einem stabilen Metallgehäuse. Er hat den Crashtest gut überstanden, nur die Knopfbatterie flog raus und ließ sich, nachdem ich sie endlich unter dem Bett gefunden hatte, problemlos wieder einsetzen.
In meiner Küche steht neben dem Herd eine Uhr, die ebenfalls ehemals ein Wecker war. Sie ist ein Geschenk von D. und so ziemlich alles, was ich noch von ihr habe; ein paar Fotos, jede Menge schöner Erinnerungen (die weniger schönen habe ich verdrängt) und eben dieser Wecker. Sie schenkte ihn mir zum Geburtstag, oder zu Weihnachten, ich weiß es nicht mehr. Aber ich hatte mir einen Wecker gewünscht, ein Modell, bei dem man die Zeit ablesen kann. Das ist heutzutage nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit. Ein schlichter analoger Wecker, also mit Zeigern, sollte es sein und das wurde er dann auch. Heute ist er voller Fettspritzer und dient mir als Eieruhr. Was aus D. geworden ist, weiß ich nicht, obwohl wir mittlerweile wieder in der selben Stadt wohnen, nur ein paar Straßen voneinander entfernt.
Einmal, es ist schon sehr lange her, ich wohnte mit B. zusammen, habe ich einen Wecker an die Wand geschmissen. Er klingelte, ich nahm ihn und schmiss ihn gegen die Wand. Er zerbarst in mehrere Teile und die Zeiger, sie waren rot, landeten dicht beieinander am Kopfende meines Bettes auf dem Boden. Ich nahm das als ein Zeichen – für irgendwas. Es war das einzige Mal, dass ich einen Wecker mutwillig zerstört habe, falls sich von Mutwilligkeit sprechen lässt, wenn man abrupt aus der Tiefe des Schlafs geholt wird und noch unzurechnungsfähig ist. Ich weiß nicht mehr, ob B. mir den Wecker geschenkt hatte, aber an ihr lag es jedenfalls nicht, dass ich ihn an die Wand geschmissen habe. Ihretwegen habe ich nur mal ein volles Bierglas über den Tresen auf die Spüle einer Kneipe gestoßen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Montag, 22. Februar 2010

Die "Wahrheit" über Bellstedt

Am 08. Feb. 2010 stellte ich folgende Frage über Twitter:

Wer ist eigentlich dieser Bellstedt?

Eine Frage, die mir durchaus ernst war. Ich hatte sie schon oft gestellt, aber nie eine Antwort erhalten. Mit einer Antwort via Twitter hatte ich allerdings ebenfalls nicht gerechnet.
In meinem Bundesligatippspiel gibt es einen, oder eine, „tbellstedt“. Wir tippten meist sehr ähnlich und wechselten uns an der Tabellenführung ab, oft mit nur einem Punkt Vorsprung. Auch hatten wir fast die selbe Anzahl an richtig getippten Ergebnissen. Das war schon ungewöhnlich. Aber keiner der Mittipper konnte mir sagen, wer eigentlich „tbellstedt“ ist, so dass in mir der Verdacht keimte, „tbellstedt“ könnte ein Avatar des Administrators sein.
Auf diesen ersten Tweet gab es verständlicherweise keinerlei Reaktion seitens meiner Follower. Erst als ich etwas später am selben Tag folgenden Tweet absonderte,

Bellstedt hat angerufen. Er behauptet, mich zu kennen.

passierte was.

@Geyst Headhunter ;-)

@Geyst Vielleicht haben Sie das auch falsch verstanden und es war der große Bellheim.

@Geyst klingt wie new york trilogy...

Das war nicht schlecht, sogar Paul Auster wurde ins Spiel gebracht. Ich dachte, es könne irgendwas lustiges, spannendes aus den Bellstedt-Tweets entstehen.

Am 09. Feb. 2010 folgte dann dieser Tweet:

Bellstedt geht mir nicht mehr aus dem Kopf.

@Geyst gäbe es einen besseren namen für einen protagonisten eines romans?

Per DM (Direct Message): Was wollte denn der geheimnisvolle Herr Bellstedt? Auf jeden Fall klingt es beinahe wie ein Romanbeginn. ;-)

Via Facebook Chat: Wer ist denn der geheimnisvolle Herr Bellstedt?

Die Reaktionen stimmten mich hoffnungsvoll, dass eine kleine Bellstedt Geschichte entstehen könnte, eine Geschichte, von der ich nicht wusste, wie sie weitergehen könnte. Eine Geschichte, die vielleicht mit Hilfe meiner Follower ihren Fortgang finden würde. Hier wurde schon von einem „Romanbeginn“ gesprochen. Ich selbst hatte keinen Plan wie es mit Bellstedt weitergehen könnte und musste mir jeden Tweet gut überlegen. Aber vielleicht stand ich wirklich am Anfang eines „Twitterromans“? Die Neugierde war bei einigen offensichtlich geweckt.
Diese Neugierde wurde durch diesen Tweet weiter gefüttert:

Mail von Bellstedt, unterschrieben mit "Dein B." B.?

@Geyst okay, du hast es geschafft, ich frage. Who the f..k is Bellstedt?

@Geyst Hier ist Bellstedt

Es gibt ein Kaff in Thüringen namens "Bellstedt". Schöne Idee, dort könnte man den „Roman“ ansiedeln.
Dann bin ich aus unterschiedlichen Gründen für 2-3 Tage nicht zum Twittern gekommen. Vielleicht war das schon tödlich für meine kleine Bellstedt Geschichte.
Erst am 12. Feb. folgte dieser Tweet:

Zwei Tage nichts von Bellstedt gehört. Ich habe aber von ihm geträumt.

Immerhin, einen weiteren Follower hat die Neugierde gepackt.

@Geyst Who the F*** ist Bellstedt?????

Am 22. Spieltag der Bundesliga landete ich einen sensationellen Tipp. Am Sonntag erreichte ich dann 27 von 36 möglichen Punkten bei 5 richtig getippten Ergebnissen. Sollte „tbellstedt“ einen ähnlich guten Tipp abgegeben haben, wäre das eine Bestätigung für meine Avatartheorie. Ich twitterte am Samstag, den 13. Feb.:

Tja, Bellstedt, jetzt mußt du dich aber anstrengen!

Das hat wieder jemand neugierig gemacht.

@Geyst Wer ist denn immer dieser Bellstedt?

„tbellstedt“ hatte an diesem Spieltag nur 16 Punkte getippt. Ich führte mit 10 Punkten und hatte 5 mehr richtige Ergebnisse getippt. Also nichts mit Avartar, meine schöne Verschwörungstheorie ist in sich zusammen gebrochen.
Dann musste ich aus beruflichen Gründen für eine Woche nach Berlin und Bellstedt schwieg für 3 weitere Tage. Das war wahrscheinlich das endgültige Aus für ihn.

Am 16. Feb. folgte noch dieser Tweet:

Bellstedt fragt per Postkarte, wie mein Abschiedsfest war und wünscht mir schöne Tage in Berlin. Woher weiß der das?

Es war der Versuch, noch etwas Spannung in die Geschichte zu bringen, allerdings vergeblich. Auf diesen Tweet gab es keine Reaktion. Erst am 18. Feb. fand ich folgende Nachricht:

@Geyst Grüße an Bellstedt!

Das hat mir gefallen. Endlich ging mal jemand auf Bellstedt ein. Dennoch ließ ich ihn noch am selben Tag „sterben“ und zwar mit folgendem Tweet:

Bellstedt dankt für die Grüße, mailt aber, er will nichts mehr mit mir zu tun haben.

Darauf erfolgte dann gar keine Reaktion mehr. Es war mir leider nicht gelungen meine Follower weiterhin für Bellstedt zu interessieren. Das macht aber nichts. Für ein paar Tage hat er mir viel Spaß gemacht und einige originelle Reaktionen hervorgerufen.
Am letzten Spieltag habe ich grauenhaft getippt, nur 4 Punkte. „tbellstedt“ dürfte wieder zu mir aufgeschlossen haben. Wer das aber nun ist, weiß ich noch immer nicht.

P.S. "tbellstedt" hatte am letzten BL Spieltag 9 Punkte. Er/Sie ist bis auf 5 Punkte an mich rangekommen.

Samstag, 16. Januar 2010

Von Bausünden und anderen Verlusten

Geschrieben als Auswechselspieler für Joe Bauer


Jetzt, da der Herr Bauer verletzungsbedingt ausfällt und eindringlich nach Platzhaltern nachfragt, besteht die einmalige Möglichkeit, auf andere Städte hinzuweisen. Die Welt ist größer als Stuttgart. Eine dieser Städte, in Bauers Aufruf ausdrücklich erwähnt, ist Frankfurt am Main, per ICE eine gute Stunde von Stuttgart entfernt. Daran wird auch Stuttgart 21 nichts ändern.
Derartige Untertunnelungspläne bewegten einst auch in Frankfurt die Gemüter. Pläne wurden gezeichnet, Kosten kalkuliert und bald war das Projekt wieder begraben. Wenn Sie also, liebe Stuttgarter, in zehn Jahren mal wieder mit dem Zug in einen Kopfbahnhof einfahren möchten, dann nichts wie ab nach Frankfurt.
Auch fußballmäßig, diese Bemerkung sei mir gestattet, steht Frankfurt besser da, als Stuttgart. Während der VfB gegen den Abstieg kämpft, hat sich die Eintracht ein gemütliches Plätzchen im Mittelfeld erarbeitet, wer hätte das vor der Saison gedacht. Und der Bornheimer Lokalclub FSV spielt in der 2. Liga, noch.
Frankfurt geht derweil anderer Dinge verlustig, dem Suhrkamp Verlag zum Beispiel, oder Charlotte Sänger (Andrea Sawatzki) und Fritz Dellwo (Jörg Schüttauf) als Tatortkommissare. Im letzten Tatort, „weil sie böse sind“, einem der besseren Sorte, redeten Dellwo und Sänger kaum miteinander. Ähnlich hielten es der Verlag und die Stadt, die er mittlerweile verlassen hat, in den letzten Monaten auch. Nur die vereinzelt in der Stadt noch zu findenden Aufkleber erinnern an den berühmten Verlag, der sein Heil nun in der Hauptstadt sucht. „Suhrkamp, Frankfurt am Main“ ist darauf zu lesen, oder auch „Sparr dir Berlin. Initiative Ulla Schmidt zurück nach Hanau S.V.“. Eine Anspielung auf den Suhrkamp Geschäftsführer Thomas Sparr sowie die Herkunft der Suhrkamp-Chefin.

Im Tatort fuhr hin und wieder ein roter Jaguar durchs Bild. Ein ähnliches Modell wie das der Suhrkamp Chefin, das allerdings in Blau gehalten ist. Sie wird es gut verstecken müssen, dort im Prenzlauer Berg. Das Abfackeln von Luxuskarossen gehört in der Gegend mittlerweile zum Alltag. Die S-Bahn fällt auf längere Zeit als Alternative ebenfalls aus. Durch jahrelange Misswirtschaft verursachte Mängel lassen die gelb-roten Bahnen bis ins Jahr 2013 hinein nur gelegentlich verkehren. Es lässt sich allerdings ganz trefflich flanieren auf den breiten Gehwegen der Hauptstadt. Sogar aufrecht und „erhobenen Hauptes“.
Sollte den Neuberlinern die legendäre „Berliner Schnauze“ in Gestalt eines Taxi- oder Busfahrers entgegenbellen und ungefragt duzen, oder einer der zahlreichen Bettler „Haste ma wat Kleingeld“ fordern, lohnte sich eine Anleihe bei Kommissar Dellwo: „Hier wird nicht geduzt, wir sind nicht bei IKEA!“
Immerhin, Berlin ist die Zukunft, „das Labor“. Drei Opern, ungezählte Theater, vier Universitäten, die „Digitale Bohème“, also jede Menge kreatives Personal hat die Stadt zu bieten. Dieses Potential versucht Suhrkamp abzuschöpfen. Ob es allerdings auf den Verlag gewartet hat, ist fraglich.
Beim Fußball hört die Kreativität allerdings auf. Berlin dürfte in der nächsten Saison die einzige Stadt sein, die zwei Clubs in der 2. Liga hat. Daran wird auch der ehemalige Eintrachttrainer Friedhelm Funkel nichts ändern.
Eine Kastration ihres Bahnhofs hat die Stadt allerdings nicht zu befürchten, der wurde schon kastriert eröffnet. „Die Wurst ist zu kurz“, pflegte Exkanzler Schröder auszurufen, wenn er aus dem Fenster seines ehemaligen Arbeitsplatzes auf die Baustelle des Hauptbahnhofs blickte. Exbahnchef Mehdorn hat die Wurst kurzerhand abgeschnitten und die Berliner müssen zusehen, wir sie mit dem verunstalteten Bauwerk zu recht kommen. Eine Weitsicht, auf die die Planer von Stuttgart 21 mit einigem Neid schauen dürften.
Wie historische Baudenkmäler zerstört werden, kann jetzt schon in Franfurt besichtigt werden. Die ehemalige – denkmalgeschützte - Frankfurter Großmarkthalle, am Mainufer im Ostend gelegen, wurde in den zwanziger Jahren von Martin Elsaesser erbaut. Für den Neubau der Europäischen Zentralbank (EZB), der an dieser Stelle errichtet werden soll, wurde das Gebäude bereits seiner Annexbauten beraubt. Der Plan sieht vor, den Restcorpus zu durchschneiden für den Eingang zur EZB. Die alte Großmarkthalle wird so bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt.

Frankfurt leckt derweil seine Wunden. Denn nicht nur der Suhrkamp Verlag hat die Stadt verlassen, sondern auch der Baumhaus Verlag sowie der VDA (Verband der Automobilindustrie) mit seinem Vorsitzenden Matthias Wissmann. Der VDA residierte nur einige Häuser vom Suhrkamp Verlag entfernt in der Lindenstraße im Frankfurter Westend. Allerdings haben diese Abgänge kaum jemand interessiert.
Immerhin, Frankfurt hat einen schönen Bahnhof, einen Kopfbahnhof. Und den wird die Stadt auch behalten.

Mittwoch, 23. Dezember 2009

Das neue Konzept der Bahn.

DSCN1898


















Foto: Stefan Geyer

Die ICE Züge der Deutschen Bahn AG haben die sibirischen Temperaturen der letzten Tage nicht verkraftet. Etliche Verbindungen müssen deshalb im Weihnachtsverkehr ausfallen.
Die Bahn hat erstaunlich schnell reagiert und ihr neues Konzept vorgestellt, das künftig derartige Ausfälle vermeiden soll. Es werde der gewohnte ICE Komfort garantiert, allerdings müsse man sich auf etwas längere Fahrtzeiten einstellen..

Mittwoch, 25. November 2009

Wenn man mal nach Stuttgart fährt.

Es gibt nur wenige Gründe, nach Stuttgart zu fahren. Der VfB ist keiner mehr und die Kickers ohnehin nicht, es sei denn, man ist VfB- oder Kickers-Fan. Das soll es ja geben. Mein Grund hieß Joe Bauer.
Joe hieß noch Joachim (Freunde nannten ihn „Dandy“), als wir vor über vierzig Jahren gemeinsam die Schulbank in Schwäbisch Gmünd drückten. Ich öfter als er. Joe war schon Rock`n Roller bevor ich wusste, was Rock`n Roll überhaupt ist. Er hatte lange Haare, als ich noch mit Fasson rumlaufen musste und mit 15 Jahren war er bereits DJ in der angesagtesten Disco nördlich der Alb. Man musste 16 sein, um dort eingelassen zu werden. Hin und wieder saß er auch am Schlagzeug einer lokalen Band, die sich „The Crossroad“ nannte.
Ich zog dann nach Berlin. Joe ist geblieben, nicht in Schwäbisch Gmünd, aber im Schwabenland. Er ging nach Stuttgart und heuerte bei den Stuttgarter Nachrichten an. Da ist er heute noch und Stuttgart kann sich glücklich schätzen.
Joe ist Journalist, war es damals schon. Gemeinsam mit anderen war er verantwortlich für eine skandalträchtige Schülerzeitung namens „Pappa Dadda“, deren Vertrieb auf dem Schulgelände streng untersagt war.
Seiner Selbstbeschreibung nach ist Bauer „Berufsspaziergänger“, er fühlt sich also einer aussterbenden Spezies verbunden, dem Flaneur. Wikipedia vermerkt folgendes über den Flaneur:
„Der Flaneur bezeichnet eine literarische Figur, die durch Straßen und Passagen der Großstädte mit ihrer anonymen Menschenmasse streift (flaniert). Hier bietet sich ihm Stoff zur Reflexion und Erzählung. Der Flaneur lässt sich durch die Menge treiben, schwimmt mit dem Strom, hält nicht inne, grüßt andere Flaneure obenhin. Der Flaneur ist intellektuell und gewinnt seine Reflexionen aus kleinen Beobachtungen...“
Die Ergebnisse dieser Reflexionen und Beobachtungen kann man regelmäßig in Bauers Glossen in den Stuttgarter Nachrichten nachlesen, oder in den regelmäßigen Depeschen auf seiner Website. Eine repräsentative Auswahl dieser Texte ist in einem schönen Band versammelt, „Schwaben, Schwafler, Ehrenmänner“, erschienen im Berliner Verlag Edition Tiamat.
Die Präsentation des Buches sollte im Stuttgarter Theaterhaus stattfinden. Der Saal war mit 400 Besuchern ausverkauft. In Stuttgart ist Joe Bauer weltberühmt. Die Gäste erwartete keine schlichte Lesung sondern eine Show und die heißt „Joe Bauers Flaneursalon“. Damit tingelt er in wechselnden Besetzungen durch Stuttgart und die angrenzenden Gemeinden. Und das schon seit über zehn Jahren. Im Theaterhaus erwartete die Besucher ein Flaneursalon in voller Fußballmannschaftsstärke.
Moderiert wurde der Abend vom begnadeten Entertainer Michael Gaedt. Für die Musik sorgten der Tänzer und Singer-Songwriter Eric Gauthier, die Soulsängerin Dacia Bridges sowie Roland Baisch mit seiner wunderbaren Band, die Country so spielte, als sei Nashville ein Vorort von Stuttgart. Zwischendrin las Bauer seine bissigen, satirischen und nachdenklichen Texte. Nach einer Pause und drei Stunden war der sehr kurzweilige Abend vorbei und ich hatte eine Ahnung von Stuttgart.
Der Verleger Klaus Bittermann, eigens aus Berlin angereist, freute sich über einen, so bislang noch nicht erlebten, Buchverkauf.
Der Abend endete in einem nahegelegenen Restaurant. Neben mir saß ein grauhaariger Mann. Er trug eine Lederweste mit der Aufschrift „Hells Angels Stuttgart“, vorne stand „President“. Aus Erzählungen Joes wusste ich, das war der Fotograf Lutz Schelhorn. Ich hatte im Internet ein paar Fotos von ihm gesehen. Zusammen mit dem Künstler Stefan Mellmann verantwortet Schelhorn die eindringlichste Gedenkstätte an die Vernichtung der Juden im „Dritten Reich“, die mir bekannt ist. Am Stuttgarter Nordbahnhof, von dort wurden die Stuttgarter Juden in die Vernichtungslager deportiert, vergruben Mellmann und Schelhorn dreissig ausgewählte Dias in die leidgetränkte Erde, um dieses Leid sichtbar zu machen. Vorher hatte Schelhorn das Gelände in über 1000 Fotos festgehalten, aus denen die dreissig Motive ausgewählt wurden. Die Ergebnisse dieses Prozesses sind seit zwei Jahren unter dem treffenden Titel „Die Chemie der Erinnerung“ auf 30 großformatigen Fotos in einer Dauerausstellung auf dem Gelände am ehemaligen Stuttgarter Nordbahnhof zu sehen. Joe Bauer hielt seinerzeit die Eröffnungsrede zur Ausstellung. Diese Rede ist in seinem Buch nachzulesen.
Am nächsten Tag besuchten wir Schelhorn in seinem Atelier, vis à vis des Stuttgarter Hauptbahnhofs, jenem Baudenkmal, das ab nächstem Jahr einem größenwahnsinnigen Projekts namens "Stuttgart 21" zumindest teilweise zum Opfer fallen soll. Schelhorn bot Kaffee und Zigaretten an, seine Tochter, die bei ihrem Vater eine Ausbildung absolviert, servierte. Und er erzählte von seinem nächsten Projekt, eben jenem Bahnhof, den er von seinem Atelierfenster aus jeden Tag sieht. Mit seiner großformatigen Kamera lichtet er in Schwarz-Weiß den Bahnhof aus jeder erdenklichen Perspektive ab. Damit führt er uns auch in Räume, die uns Reisenden normalerweise nicht zugänglich sind. Ein Spiel mit Licht und Schatten, Architektur und Menschen. Der Titel dieses Projekts lautet „Hauptbahnhof Stuttgart vor 21“. Am Computer zeigte er uns einige sehr beeindruckende Ergebnisse dieser monatelangen Arbeit. Seine Tochter checkte derweil ihr Facebook Profil und ich fühlte mich wohl.
Zum Abschied schenkte mir Schelhorn einen Katalog zu „Die Chemie der Erinnerung“ und ich wusste, mein mediengeprägtes Bild über Hells Angels bedurfte dringend einer Revision.
Joe und ich machten uns auf den Weg, die „Chemie der Erinnerung“ in natura zu sehen. Von der Gegend, in der wir aus der Bahn stiegen, behauptete Joe, dort lebten keine Deutschen. Er fand den Weg nicht auf Anhieb und fragte eine Gruppe Jugendlicher mit Bierflaschen in der Hand. Es war nicht mehr weit und bald standen wir in einem unwirklichen Niemandsland unweit eines Schrottplatzes. Hier war also der Ort des Schreckens, Standort der offiziellen Stuttgarter Gedenkstätte für die Opfer des Naziregimes, der ehemalige Stuttgarter Nordbahnhof. Wir waren die einzigen Besucher an diesem Freitagmittag. Ich wunderte mich über fehlende Spuren von Vandalismus an „Die Chemie der Erinnerung“. Joe meinte lapidar: Würdest du was kaputtmachen, was einem Hells Angel gehört?
Er führte mich weiter durch seine Stadt, vorbei an den „Wagenhallen“, unweit des Nordbahnhofs, die heute für Konzerte und Partys genutzt werden. Von einer Eisenbahnbrücke aus blickten wir auf alte Wagons, aus deren kleinen Schornsteinen es qualmte. Künstler hatten sich dort einquartiert. Diese städtischen Freiräume hat Stuttgart also auch zu bieten, noch.
Zum Abschluß meiner kurzen Reise besuchten wir das neue Stuttgarter Kunstmuseum, das eine sehr sehenswerte Sammlung lokaler Künstler sein Eigen nennt, Otto Dix und Willi Baumeister zum Beispiel. Die aktuelle Ausstellung war Adolf Hölzel gewidmet, dem „Erfinder“ abstrakter Malerei. Dieser Glaswürfel ist ein städtebauliches und architektonisches Highlight. Von Oben blickt man auf eine Eisbahn und Bratwurstbuden, die den Schlossplatz verschandeln. Aber das sind Themen für den „Berufsspaziergänger“ Joe Bauer.
Am Bahnhof verabschiedeten wir uns. Keine 24 Stunden verbrachte ich in Stuttgart und fuhr mit dem Gefühl, hinter die Kulissen einer Stadt geschaut zu haben.
Joe blieb und bereitete sich auf das nächste Spiel seines Vereins vor, den Stuttgarter Kickers. Stuttgart hat Joe Bauer leidensfähig gemacht.

Mittwoch, 4. Juni 2008

Bye Bye SUV

Eine schöne Vision verbirgt sich hinter diesem Link
Möge sie sich schnell bewahrheiten und diese peinlichen Bürgerkriegsautos von unseren Straßen und aus unseren Städten verschwinden.

Montag, 14. Januar 2008

Das Internet retten!

Es raunt immer öfter durch`s Netz – der Infarkt droht, der Netzinfarkt. Schuld sein wird ein ständig wachsendes Datenvolumen, das durch eine begrenzte Kabelkapazität gejagt wird.

Irgendwann sitzen wir also vor unseren Laptops mit den superschnellen DSL Anschlüssen und die Mails der Liebsten lassen trotzdem auf sich warten, denn sie stecken im Datenstau. Vorbei auch die genau getimete Abgabe des Höchstgebots für die rare Frank Zappa Vinyl LP. Der Aktienkurs der Firma Google geht in den Keller, weil kein Mensch mehr eine Firma wie Google braucht. Oder morgens geht Spiegel Online nicht auf. Bald darauf fangen wir also wieder an, Postkarten und Briefe zu schreiben und auf Flohmärkte und Plattenbörsen zu gehen, so wie früher. Millionen Webnerds irren ziel- und haltlos, den Laptop geschultert, durch die Straßen, auf der vergeblichen Suche nach einem funktionierenden Internetanschluß. Die Hauptquartiere der Provider werden gestürmt, Computer aus den Fenstern geschmissen, Kabel aus den Wänden gerissen, das Mobiliar verfeuert. Bürgerkriegsähnliche Zustände bei AOL, T-Online und Co. Doch es nützt alles nichts, millionen Existenzen, die vom Internet leben und nichts anderes können, sind ruiniert.

Um dieses Horrorszenario zu verhindern, könnte das Konzept des „Kontingentierten Sprach- und Wortvolumens“ (KSW) eingesetzt werden und helfen, die drohende Katastrophe abzuwenden.
Das KSW ZK (Zentralkomitee) weist jedem Menschen, vom Tag der Geburt an, ein bestimmtes Wortvolumen für sein gesamtes Leben zu. Die Menge der zur Verfügung stehenden Wörter reicht in der Regel bequem aus, um durch ein, sagen wir, 90jähriges Leben zu kommen. So etwas läßt sich errechnen und je nach Nationalität, Kultur, Geschlecht und sprachlichen Besonderheiten gestalten. Niemand soll das Gefühl haben, sich nicht in aller Ruhe mit anderen austauschen zu können. So sollen Freundinnen nicht plötzlich angehalten sein, sich beim abendlichen Telefonat kurz zu fassen und sich auf die wirklich wichtigen Informationen zu beschränken. Auch Fußballradioreporter sollen natürlich weiterhin unbekümmert ihrer Profession nachkommen können. Selbstverständlich ist auch die Wahl der Worte völlig freigestellt. Es gibt also keine Worte, die häufiger zur Verfügung stehen als andere. Vordergründig geht es ausschließlich um Quantität. Und es spielt auch keine Rolle, ob die Worte geschrieben, gesprochen oder gesungen sind. Das bleibt ebenfalls den Wortnutzern vorbehalten. Wer also beispielsweise im Wesentlichen mit den Wörtern „Essen“, „Bier“, „Fußball“, „Fernsehen“, „Ficken“, „Auto“, „Ja“ und „Nein“ auskommt, wird über eine ausreichende Anzahl der genannten Begriffe verfügen können.

Will man allerdings den Netzinfarkt verhindern und das Datenvolumen einschränken, das tagtäglich die Leitungen verstopft, wird man um eine behutsame qualitative Wertung des Gesprochenen, Geschriebenen und Gesungenen nicht umhin kommen. Ja, man wird auch die Qualität des Gelesenen und Gehörten mit in diese, wie gesagt, behutsame Wertung einbeziehen müssen. Selbstverständlich werden aber gelesene oder gehörte Texte in aller Regel nicht auf das KSW angerechnet, dient doch das Lesen von Büchern und Zeitschriften sowie das Hören von Hörbüchern und Musik der Persönlichkeitsausbildung. Dennoch, wer schon mal Fernsehen geschaut hat, oder sich in Internetforen rumgetrieben hat, wird die Notwendigkeit, dem ungezügelten Wortgebrauch Einhalt zu gebieten, sicherlich verstehen können.

Wo also anfangen bei der Wertung und Ahndung missbräuchlich und überflüssig verwendeter Wörter und Begriffe (MÜW)? Naheliegend ist es naturgemäß, die Versender sog. SPAM Mails zu ahnden, in dem beispielsweise dem Absender einer solchen Mail, sagen wir mal, das Tausendfache der Wörter, aus denen die SPAM Mail besteht, von seinem KSW abgezogen wird; multipliziert mit der Anzahl der Empfänger, versteht sich. Das würde, nachvollziehbarerweise, zu einer unmittelbaren und spürbaren Entlastung des Netzes führen.

Andererseits wäre es auch denkbar, vielleicht auch wünschenswert, das Verfassen sog. „dummer und überflüssiger Texte“ (DÜT) zu ahnden. Wenn also beispielsweise der Schlagersänger Dieter B. ein Buch schreiben lässt und unter seinem Namen veröffentlicht, wäre es eventuell bedenkenswert, dem Herrn B. die Anzahl der Worte in diesem Buch von seinem KSW abzuziehen, multipliziert mit den verkauften Exemplaren, versteht sich. Das würde genanntem Schlagersänger sicherlich zu denken geben und er wäre fürderhin sparsamer mit seinen Äußerungen. Das wiederum führte zu einer spürbaren Reduzierung öffentlicher, medialer Reaktionen auf die Äußerungen des Herrn B. und somit ebenfalls zu einer starken Entlastung des Netzes. Die Käufer des Buches sollen natürlich damit rechnen, die Anzahl der Worte des Textes von ihrem KSW abgezogen zu bekommen. Dies könnte durch einen entsprechenden Aufkleber auf dem Buch kenntlich gemacht werden.

Hätte es dieses geniale Konzept schon vor 60 –70 Jahren gegeben, dann wäre z. B. die berühmte Rede des Herrn Goebbels vom 18.02.1943 im Sportpalast ganz sicher anders verlaufen, nämlich möglicherweise so: „WOLLT IHR DEN TOTALEN...?“ Feierabend, Schluß aus und vorbei. Goebbels macht den Mund auf und zu, blickt sich hilflos um, schnappt wie ein Fisch, nein, nicht nach Luft, sondern nach Wörtern, nach einem Wort genaugenommen. Aber sein Kontingent wäre just in diesem Moment erschöpft gewesen, wenn es denn überhaupt so weit gereicht hätte. Das enttäuschte Publikum hätte sich völlig verunsichert umgeschaut, erwartungsvoll zum Herrn Goebbels geblickt, der freilich schon längst stumm und wild gestikulierend, hinter den Kulissen verschwunden wäre. Was wollte er denn nun noch sagen, „Klamauk“, „Spaß“ ,“Sex“ ...? Das blöde Geschrei anschließend wäre ebenfalls unterblieben und die Welt sähe möglicherweise besser aus.

Aber wir wollen zu unserem Schlagersänger zurückkehren. Er hat jetzt ein Problem. Jede Menge Kohle aber nur noch ein überschaubares Kontingent an Worten. Nichts mit dem er hinkommt bis ans Ende seiner Tage. Ein unerträglicher Zustand für jemand, der von Verlautbarungen lebt.
Und wir kehren zurück zu unserem Beispiel des sprachlich Eingeschränkten, wir erinnern uns („Essen, „Trinken“, „Fußball“ etc..). Diese Person, nennen wir sie MF für Mundfaul, hat naturgemäß noch jede Menge Wörter in seinem KSW, mehr als sie jemals aufbrauchen kann. Zumal auch die gesundheitliche Situation MFs nicht so ist, dass mit einer hohen Lebenserwartung zu rechnen ist.
Hier setzt dann der Zertifikatshandel ein, den wir, in vergleichbarer Weise, bereits vom Handel mit CO2 Zertifikaten kennen.
Der Schlagersänger B. wendet sich also an die Person MF, die ihm vom KSW ZK, gegen eine geringe Gebühr, vermittelt wurde. Er kann MF gegen ein Entgelt, sagen wir, 10% seines KSW abkaufen. MF freut sich und studiert das Fernsehprogramm. B. ist etwas erleichtert, traut sich aber trotzdem nicht, gleich wieder neue Lieder zu singen oder ein Buch schreiben zu lassen. Das muß er erst mal mit seinem Vermögensberater besprechen.

Wir sollten aber im Zusammenhang mit KSW nicht nur von Sanktionen sprechen. Selbstverständlich gibt es auch Möglichkeiten, sein KSW durch geniale Sprachschöpfungen zu erweitern. Wer also beispielsweise ein unterhaltsames, sinnvolles, nutzbringendes und vielleicht sogar künstlerisch wertvolles Buch schreibt, soll selbstverständlich alle Wörter, die für dieses Buch notwendig waren, gutgeschrieben kriegen, multipliziert mit den verkauften Exemplaren, versteht sich. Also genau andersrum wie bei dem Schlagersänger B.

Ebenso sollte bei dem Erfinden schöner neuer Begriffe das Bonussystem greifen. Wer also so schöne Worte wie beispielsweise, sagen wir mal, „Arschlochtrefferquote“ in Umlauf bringt, soll für den Rest seines Lebens keine Sorge mehr um sein KSW haben.

Wäre doch gelacht, wenn wir das Netz nicht retten könnten.

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