Freitag, 12. Januar 2007

Wolfgang Welt

Wolfgangs Welt

Eine großartige Romantrilogie: „Buddy Holly auf der Wilhelmshöhe“

Von Jürgen Lentes

Es mutet schon seltsam an, wenn ein Schriftsteller von zwei so unterschiedlichen Schreibern wie Peter Handke und Willi Winkler seine Credits bekommt. Der heilige Peter: „Dieser Autor ist einerseits ein großer Verehrer von Hermann Lenz... und andererseits ist er der größte Verehrer von Buddy Holly. Und aus diesen zwei Polen, Buddy Holly und Hermann Lenz, bestehen eigentlich alle seine Bücher.“ Griffiger ist da schon Willi Winkler, wenn er Wolfgang Welt als den „größten Erzähler des Ruhrgebiets“ anpreist. Nun, ab und an scheint es ja noch so etwas wie Gerechtigkeit im sich permanent beschleunigenden Literaturbetrieb zu geben, gar für lebende Autoren. 1986 erscheint das erste Buch Welts, „Peggy Sue“, im Konkret Literatur Verlag und wird zum Flop. 1977 erschien der Roman mit einem Vorwort von Leander Haußmann noch einmal als Heyne Taschenbuch. Der zweite Roman, „Der Tick“, 2001 ebenda. Dann war Funkstille. Nun sind beide Romane mit einem dritten, dem bisher unveröffentlichten „Der Tunnel am Ende des Lichts“, nebst einigen Prosastücken, als Taschenbuch bei Suhrkamp erschienen. Da wollte Wolfgang Welt schon in den frühen achtziger Jahren veröffentlichen. Wolfgang Welt heißt wirklich Wolfgang Welt und wird Silvester 1952 in Bochum geboren. Er wächst dort in kleinen Verhältnissen in der Zechensiedlung Wilhelmshöhe auf. Fußball ist wichtig. Buddy Holly wird auch wichtig und damit die Liebe zur Musik. Er studiert. Er bricht das Studium ab. Er rutscht in den Musikjournalismus hinein. Erst für ein wichtiges lokales Blatt der Ruhrpotts, das „Marabo“, dann kommen „Musik Express“ und „Sounds“ hinzu. Er erschreibt sich schnell einen Namen mit seinen radikalsubjektiven Texten. Aus einer Pressekonferenz mit Helen Schneider fliegt er raus, weil er die Chuzpe hat zu ihr sagen: „You killed six of my favourite songs“. Seine Heinz Rudolf Kunze-Hinrichtung ist legendär: Welt als kleiner Hunter S. Thompson, oder „der wichtigste Musikjournalist des Ruhrgebiets“. Er arbeitet manisch, immer unter Strom, immer unterwegs. Aber das Geld reicht vorne und hinten nicht zum Leben. Also zieht er wieder zurück zu seinen Eltern. Welts Texte erinnern an die eines Jörg Schröder. Welt schreibt eins zu eins, ohne geringste Rücksicht auf andere oder gar sich selbst zu nehmen. „Peggy Sue“ hat er an zwanzig Nachmittagen geschrieben, verteilt über sechs Wochen. Kunstvolle Romane wollte er sicher nicht verfassen, aber herausgekommen ist sie dann eben doch, eine „... ’authentische’ Kunst, um das inflationäre Wort einmal zu gebrauchen“ (Stefan Geyer). Auch wenn Welt zusehends „vom Hölzken auf Stöcksken“ kommt, geschwätzig wirkt seine Prosa nie. Ebenso schnell und direkt wie hier aus einem rastlosen Leben erzählt wird, genauso schnell und direkt wird man von diesem „Steam of Unconsciousness“, so Welt über seinen Schreibstil, gepackt. Diese Atemlosigkeit steigert sich unaufhörlich, denn diese Texte sind auch, neben aller Komik, eine bedrückende Reise in den Wahnsinn. Was würden Sie von sich denken, wenn Sie genau wüßten, was Sie vor zehn Jahren und drei Tagen so gemacht, wen Sie getroffen haben? Welt weiß es immer, auch ohne Notizbücher. Im zweiten Roman tauchen dann die ersten konkreten Symptome einer Erkrankung auf: Welt fühlt sich beobachtet und verfolgt. Als er sein Studium pro forma wieder aufnimmt, beginnt er Vorlesungen zu stören. Das steigert sich unaufhörlich. Welt vollzieht die heroische Tat der Zerlegung eines Tschibo-Ladens. Er verfolgt den ZEIT-Kritiker Benjamin Henrichs, bietet ihm eine Kroll-Oper für Stalin-Orgeln an und legt sich „...in das Bett, in dem sich Benjamin Henrichs immer einen runterholte, wenn er Bernhard Minetti im Schauspielhaus erlebt hatte.“ Er packt eine Ausgabe der WAZ in das Eisfach des Kühlschranks, damit er sie als gefrorene Waffe benützen kann. Soll er Altkanzler Helmut Schmidt das „Blaue Album“ der Beatles auf den Kopf hauen? Nahe genug dran ist er jedenfalls, „Brecht sein Leben“ als Buch hat er zur Sicherheit ja auch noch dabei. Lieber nicht. Dann hält er sich für J. R. Ewing, seine Mutter für Marilyn Monroe und seinen Vater für Herbert Wehner. Er wird in die Psychiatrie eingewiesen und als ungeheilt entlassen, Diagnose: Depression in Verbindung mit Schizophrenie. Das war 1983. Seitdem muß er Lithium nehmen. Seit den neunziger Jahren arbeitet Welt als Nachtportier am Bochumer Schauspielhaus. 2002 erhielt er ein Stipendium der Herrmann-Lenz-Stiftung und kürzlich ein Arbeitsstipendium des Landes NRW. Welt wird weiterschreiben. Und er macht sich ab und an zu Lesungen auf. Den Ruhrpott wird er Ende Januar verlassen, um am Abend des 25. Januar in der Frankfurter Gaststätte „Klabunt“ (das ist die mit der schönsten Wirtin, dem freundlichsten Wirt, der besten jungen Frankfurter Küche und den ausgefallensten Schnäpsen), auf der Bergerstraße 228, zu lesen. Spät, aber hoffentlich nicht zu spät startet Wolfgang Welt noch einmal durch. Gemächlicher. Viele Leser wünscht man ihm ohnehin. Aber bitte zu Lebzeiten.

Wolfgang Welt, Buddy Holly auf der Wilhelmshöhe, Drei Romane, Suhrkamp Taschenbuch 3776, 2006, 489 Seiten, 15 €

Donnerstag, 11. Januar 2007

Suhrkamp 3

Jetzt ist wieder Musike drin in der Suhrkamp Soap. Das Thema findet noch immer prominente Plätze in der seriösen Presse, aber auch in Bild (seitenfüllend!). Ab 1. Januar sind die beiden Hamburger Investoren offizielle Eigner der Medienholding AG Winterthur, die 29 Prozent an dem Frankfurter Verlag hält.
Der Tagesspiegel vom letzten Sonntag (07.01.07) hat ein besonders hübsches Exponat von Herrn Grossner (von Barlach, Conradi und Joachim Unseld hört man gar nichts mehr) vorzuweisen, eine Neujahrsglückwunschkarte, die in ihrer Anmutung an Welterklärungs-darstellungen der Zeugen Jehovas gemahnt, oder auch an Scientology (man sollte drauf achten, ob Herr Grossner am kommenden Samstag der Eröffnung der Berliner Repräsentanz der Sekte beiwohnt. Die Welt retten wollen ja beide! Und Kohle machen, klar!). Die Glückwunschkarte zeigt in der unteren Hälfte ein Kommandozentrum, nicht unähnlich dem eines Atomkraftwerks, schwarz-weiss-naiv. In der rechten oberen Hälfte sehen wir eine von der Sonne großzügig bestrahlte Villa. Unschwer zu erraten; Grossners Villa am Alsterstand . In der linken Ecke dann eine Weltkarte, Europa schwarz, der Rest weiß. Eine Fahne der Medienholding AG Winterthur steckt irgendwo knapp über Mexiko. Darunter dann die 3 Begriffe, mit denen Grossner so gerne um sich schmeißt: Wissen Weltethos Weltzukunft 99 (die Karte war wohl früher schon mal im Einsatz), weiter zu sehen: ein dämlich grinsender Delphin, der mit einer Weltkugel spielt sowie eine Heuschrecke (ich vermute, für eine Heuschrecke ist Herr Grossner zu dumm). Als begnadeter SMS Schreiber hat sich der Hamburger ja auch hervorgetan, wie dem Spiegel zu entnehmen war („..., hope2 c U 2m @ Kleist-Preis“).
Lassen wir Grossner und Co. sich ruhig weiter lächerlich machen, genug Gelegenheit haben sie noch. Die Gerichte haben das Wort und das kann dauern.
Es ist an der Zeit über das Suhrkamp Programm zu reden. Die Vorschauen sind da, schlicht und schön. Man war ja neugierig, aber, ich schwöre, kein einziges Buch über Hexen! Ehrlich! Statt dessen ein typisches Suhrkamp Programm, souverän und unvergleichbar. Bekannte Namen (Beck, Begley, Bernhard, Handke, Hesse, Kluge, Koeppen, Treichel) neben weniger oder gar gänzlich unbekannten. Dem oft wiederholten Vorwurf, Suhrkamp hätte keine neuen deutschen Autoren, tritt der Verlag in diesem Frühjahrsprogramm besonders eindringlich entgegen. Gleich vier (!) Autorinnen und Autoren finden mit ihren ersten oder zweiten Büchern Platz im Hauptprogramm des Verlages. Kevin Vennemann (29), Ariane Breidenstein (32), Paul Brodowsky (26), Thomas Melle (31) – man darf gespannt sein, wenn auch die Gefahr besteht, dass sich diese Autoren gegenseitig im Wege stehen. Einen Reader nebst CD zu diesen Autoren hat der Verlag produziert, sein Anliegen zu verdeutlichen. Das Vorwort zu diesem Reader verirrt sich allerdings etwas im sprachlichen Nirvana.
Letztendlich Marginalien, solche Ausrutscher. Das Programm machen sie nicht schlechter. Kein zweiter deutscher Verlag hat ein solches ausgeprägtes Osteuropaprogramm. Hier waren in der Vergangenheit oft die größten Entdeckungen zu machen. Erinnert sei an Juri Andruchowitsch oder Attila Bartis. Im Frühjahr freuen wir uns auf einen Roman des jungen Polen Wojciech Kuczok mit dem schönen Titel „Dreckskerl“. Oder auf einen Band mit Erzählungen und Fragmenten von Zygmunt Haupt in der schönsten Reihe, die es auf dem deutschen Buchmarkt gibt, der Bibliothek Suhrkamp.

Ist der Verlag Schuld an der ihm in letzter Zeit oft vorgeworfenen angeblichen Bedeutungslosigkeit. Kann ein Verlag Schuld sein an der zunehmenden Verdummung einer Gesellschaft. Kann ein Verlag verantwortlich sein für den Erfolg solcher Figuren wie BohlenDaddelNaddelWaddeletcpp....? Ist Suhrkamp Schuld an der grassierenden Utopiemüdigkeit? Mit dem Band „Und jetzt?“ versucht der Verlag nichts anderes als eine Bestandsaufnahme über Protest und Propaganda am Anfang des 21. Jahrhunderts. Und wo? In der edition suhrkamp, dieser schon oft totgesagten Reihe, die wie keine andere den Begriff der „Suhrkamp Kultur“ repräsentiert. Ebenfalls in der edition ein Band mit Arbeitsreportagen für die Endzeit, „Schicht!“ Die Liste der Beiträger liest sich wie ein Who is Who der zeitgenössischen deutschen Literatur; von Wilhelm Genazino über Thomas Kapielski und Oliver Maria Schmitt bis zu Juli Zeh, um nur einige zu nennen.
Dieses Programm zeugt von einem quicklebendigen, selbstbewussten Verlag, der weiß wo er herkommt und auch wo er hinwill.
Und Herr Grossner weiß das natürlich auch alles genau. Hope, not 2 c U @ SV!

Montag, 4. Dezember 2006

...

Suhrkamp 2

Die Daily Soap um den Suhrkamp Verlag hat sich in eine Weekly Soap verwandelt. Aus der Tagespresse ist das Thema weitgehend verschwunden, hat dafür Platz gefunden in Magazinen und Zeitschriften. So war im Börsenblatt des Deutschen Buchhandels (48-2006) ein zweiseitiges Portrait des Hamburger Investors Claus Grossner zu lesen. Und, mit Verlaub, nach der Lektüre lässt sich gut verstehen, daß der Verlag dessen Engagement mit rechtlichen Mittel zu verhindern sucht. Grossner firmiert unter „Großforschungs- und Informationsbureau“. (Diesen Begriff unterstreicht meine Rechtschreibprüfung, aber, ich kann ja nichts dafür, Grossner will es so). Diese „Bureau“ beschäftigt sich mit nichts Geringerem als WWW (nein, nicht was Sie jetzt denken). Diese drei „W“ stehen für „Wissen“, „Weltethos“ und „Weltzukunft“. Für diese hehren Ziele reicht ein einfaches „Büro“ sicher nicht aus (In Berlin betreibt Grossner übrigens ein „Office“, in der Meinekestraße. Das ist unweit von Suhrkamps Berliner Repräsentanz. Vielleicht trifft man sich ja mal zufällig auf der Straße). Diesen bescheidenen Ansprüchen ordnet Grossner sogar die eigene Bequemlichkeit unter – er verzichtet auf ein Bett, schläft wahrscheinlich im Sessel (soweit vorhanden) oder im Auto (vorhanden). Na gut, die sechs Stunden Schlaf, die er sich gönnt, kriegt man auch irgendwie rum. Die restlichen achtzehn Stunden widmet er sich, tomatensafttrinkend, seinen Zielen, „sehr schnell, sehr präzise“. Kein Zweifel, der Mann will die Welt retten. Diesem Ziel hat er sein Leben untergeordnet, und dieses Leben hat er in 200 (!) blauen Büchern dokumentiert. Ich freue mich schon auf die Gesamtausgabe im Suhrkamp Verlag.
Da Herr Grossner für die „Bunte“ nicht zu sprechen ist, hat sich dieses Magazin (49 – 2006), das sich normalerweise ja nur dafür interessiert, mit wem Boris Becker in die Besenkammer steigt, auf „Spurensuche“ begeben. Da Ulla Unseld-Berkéwicz ebenfalls nicht für die Bunte zu sprechen war, wurden andere gebeten, bei der Spurensuche zu helfen, was allerdings nicht sehr ergiebig ist. Joachim Unseld, der verstoßene Sohn Siegfried Unselds, Bodo Kirchhoff, ehemaliger Suhrkamp Autor und jetzt in der Frankfurter Verlagsanstalt bei Joachim Unseld unter Vertrag, der Theaterregisseur Jürgen Flimm, der einst mit Ulla Berkéwicz, als sie noch der Schauspielerei nachging, inszeniert hat. Ferner Martin Walser, ebenfalls ehemaliger Suhrkamp Autor, dessen, des Antisemitismus verdächtigter, Roman „Der Tod eines Kritikers“ einst ein mittleres Erdbeben bei Suhrkamp auslöste. Walser wundert sich, daß sich noch keine Suhrkamp Autoren in der Sache geäußert hätten. Nun, dies ist geschehen, vor Erscheinen der Bunte. Mehrere namhafte Autoren und Autorinnen haben sich mittlerweile auf die Seite der Suhrkamp Verlegerin (auch dieses Wort unterstreicht meine Rechtschreibprüfung. Sind Verlegerinnen im Deutschen nicht vorgesehen?)gestellt. Darunter Peter Sloterdijk, Peter Handke, Katharina Hacker, Christoph Hein, Adolf Muschg, Hans-Ulrich Treichel, Durs Grünbein, Michael Krüger, Ulrich Beck, Thomas Meineke u.v.a.m. Auch Marcel Reich-Ranicki wurde von der Bunten befragt und hat den einzig substanziellen Beitrag geliefert, der es verdient, zitiert zu werden. „Kein Wort. Ich äußere mich nicht zu diesem Fall. Sie müssen woanders suchen. Nur ein Idiot wird etwas sagen.“ Hat MRR da geahnt, wen er alles als Idiot bezeichnet? Steht uns ein neuer Literaturskandal ins Haus?
Zwei Dinge sind und bleiben rätselhaft. Was ist die Motivation von Grossner und Barlach? Und weshalb die aufgeregten Reaktionen von Seiten des Verlages?
Und den Herren aus Hamburg sei auch hier wieder ein anderes Betätigungsfeld anempfohlen. Es sieht so aus, als ob nicht nur der FC St.Pauli Hilfe gebrauchen könnte, sondern auch der HSV. Vielleicht ein neuer Torwart und ein bis zwei neue Stürmer. Allerdings ist mir nicht bekannt, ob`s beim HSV auch ein T-Shirt gibt. Aber sicherlich einen lebenslangen Platz in der VIP Lounge.

Freitag, 1. Dezember 2006

Rauchverbot

Jetzt ist es also beschlossen, das Rauchverbot u.a. für Restaurants. Nicht verboten ist es hingegen, mit einem dieser modernen Bürgerkriegsautos, auch SUV (ScheißUmweltVerpester) genannt, in ein solches rauchfreies Restaurant zu fahren.

Montag, 20. November 2006

Suhrkamp

Jetzt zerreißt sich das Feuilleton wieder. Das ist ja auch ein gefundenes Fressen für die schreibende Zunft. Immer wenn bei Suhrkamp ein Mülleimer umfällt, gilt es die Feder zu spitzen. Diesmal scheint allerdings ein ganzer Laster umgekippt zu sein. Also braucht man ein paar mehr Federn. Wenn die gerade nicht zur Hand sind, wird halt abgeschrieben. So habe ich jetzt schon mehrfach in verschiedenen Gazetten, die nicht müde werden, die berühmten Autoren des Verlages aufzuzählen, lesen dürfen, daß Umberto Eco dazuzählt. Die Bücher, die ich von Eco gelesen habe, sind bei Hanser erschienen. Das ist ein anderer, auch sehr guter Verlag, in München beheimatet (Der Verleger des Hanser Verlags ist übrigens Suhrkamp Autor!).
Ich habe mir die Mühe gemacht, die aktuellen Bestsellerlisten zu studieren. Unter den Top 50 finden sich immerhin sieben Bücher, die im Suhrkamp Verlag erschienen sind. Natürlich mit Katharina Hacker, Die Habenichtse, an der Spitze der Belletristikliste (was mich freut, ist ein tolles Buch, und so gar nicht massenkompatibel. Und außerdem kommt mein Lieblingsitaliener in Berlin drin vor.). Dann geht es weiter mit der unerläßlichen Isabel Allende, Mein erfundenes Land. In der Sachbuchliste finden sich gleich drei Suhrkamp Autoren: Peter Sloterdijk, Zorn und Zeit, Thomas Friedman, Die Welt ist flach (sollte jeder, jede lesen, der,die sich z.B. mit solchen Sachen wie Blogs beschäftigt) und schließlich der Erfinder des Begriffs "Suhrkamp Kultur", George Steiner, Warum Denken traurig macht (Vielleicht nehmen deshalb so einige Feuilletonisten Abstand von dieser Tätigkeit). In den Taschenbuchlisten dann ein Megaseller, den der Insel Verlag, der ja bekanntlich zu Suhrkamp gehört, erst bekannt gemacht hat, Carlos Ruiz Zafón, Der Schatten des Windes. Davon soll Insel und Suhrkamp inzwischen weit über eine Million Exemplare verkauft haben (Wer`s noch nicht gelesen hat, sollte das nachholen. Es ist ja bald Weihnachten.). Und dann noch das großartige Buch von Amos Oz, Eine Geschichte von Liebe und Finsternis. Bei meiner sonntäglichen Zeitunglektüre sind mir gestern gleich zwei große Artikel über Suhrkamp Autoren in`s Auge gefallen. Der Tagesspiegel aus Berlin hat in seiner gestrigen Sonntagsbeilage eine ganze Seite für Lily Brett, ihr neues Buch Chuzpe sowie die darin versammelten Klops Rezepte, freigemacht. Und in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung fand sich im Feuillleton ein über halbseitiges Interview mit Louis Begley, ebenfalls seit Jahren Suhrkamp Autor (Lügen in Zeiten des Krieges), von dem anscheinend demnächst ein neuer Roman zu erwarten ist, im Suhrkamp Verlag. Soviel zur angeblich mangelnden Substanz des Verlages!
Kein Wunder, wenn sich da bei einigen Hamburger Investoren, die sich anschicken die Welt zu retten und damit bei Suhrkamp anfangen wollen, Begehrlichkeiten regen. Für`s Image scheint der Verlag noch zu taugen. Sollen lieber den FC St. Pauli retten. Da gibt`s dann auch ein hübsches T-Shirt.

Dienstag, 14. November 2006

Scritti Politti hören

Ich mag keine elektronische Musik (ich mag Gitarren und Saxophone und handgemachte Klänge) und ich weiß fast nichts über Scritti Politti. Als die Band in den 80igern mal groß war, habe ich was anderes gehört, Jazz und so. Aber nicht Scritti Politti. Miles Davis hat die Band (ist das überhaupt eine Band?) mal als Gastmusiker geadelt (und welche Popband kann das schon von sich behaupten?). Als Jazzer ist das bei mir hängen geblieben, gleichwohl ich die Aufnahme wahrscheinlich nie gehört habe.
Neulich hat mir dann mein guter Freund HPunkt eine nackte Kopie zweifelhafter Herkunft in die Hand gedrückt (Hör dir das mal an!), Scritti Politti, White Bread, Black Beer (bei dem Frühstück wär ich gern dabei gewesen). Auf HPunkt ist Verlaß, in musikalischen Dingen und überhaupt.
Wieder zuhause, holte ich mir bei Amazon das Cover (ganz prima). Ich mag keine nackten CDs. Schlichtes Design, weiße Schrift auf braunem Grund. Sieht aus wie ein englisches Wirtshausschild, also einladend. Die CD war eingelegt, der Wein (nein, kein Guiness) offen, das Glas gefüllt und ich drückte die Starttaste.
Das erste Stück, The Boom Boom Bap. Sanfte, sparsame elektronische Klänge, ein unglaublicher Gesang, und ich hatte die Beach Boys im Ohr, und Simon and Garfunkel, und Robert Wyatt, und Sonic Youth. Wieso Sonic Youth? Keine Ahnung, aber ich komm noch drauf.
Das also ist Scritti Politti, das ist elektronische Musik und ich war hinundweg. Wer kann solche Melodien schreiben, wer kann so singen? [Mittlerweile weiß ich es, der Mann heißt Green Gartside] Der Straßenlärm war vergessen, die ganze Welt dazu. Wie konnte ich diese Band (die ja keine Band ist) all die Jahre überhört haben? Wahrscheinlich weil sie so still sind. Heutzutage muß man die Stille suchen.
Und das alles ohne Gitarren: Na ja, nicht ganz. Im dritten Stück, Snow In Sun, ist sehr dezent eine akustische zu hören. Und im zehnten Titel, dem wunderbaren Window Wide Open, erklingt sogar ein kleines, feines Solo, auf `ner richtigen E-Gitarre. Im sechsten Stück, Dr. Abernathy, klingen sie sogar wie `ne richtige Rockband, ebenso im letzten, Robin Hood. Aber nur kurz.
Es wird gesungen, also gibt es Texte. Gesungene Texte interessieren mich nicht. Wenn ich einen Text will, lese ich ein Buch. Wörter in der Musik sind für mich Klang, sie müssen klingen und singbar sein. Also achte ich auch nicht auf den Text auf White Bread, Black Beer. Dennoch ist mir ein tröstlicher Satz aufgefallen, im siebten Stück, After Six (schöner Titel für ein siebtes Stück), "Jesus, keep Your Love away from me. Jesus, keep Your hands, where I can see." Der muß sich ja auch nicht überall einmischen.
Auf diesem Album sind vierzehn Kleinode versammelt, die man sich dringend allein anhören sollte. Eventuell Anwesende sind gehalten, für die nächsten einundfünfzig Minuten und siebenundzwanzig Sekunden die Klappe zu halten. Diese Musik duldet keine Störung. Und nach dem letzten Stück hat man eine Ahnung davon, was Glück sein kann. Scritti Politti hat eines der großartigsten Pop Alben abgeliefert, das mir in den letzten Jahren untergekommen ist und von dreiundachtzig zu vergebenden Punkten würde ich hier glatt achtundsiebzig verteilen. Das ist doch was! Und wieso ich beim Hören an Sonic Youth denken muß, darauf komme ich auch noch.

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