Gelesen
An einem Sommernachmittag des Jahres 1981 entdeckt der Chauffeur und “Mädchen für Alles” van Dijk die Leiche seines Chefs, des Fabrikanten Christiaan Dudok, in dessen Arbeitszimmer. Es gibt keine Anzeichen für ein Fremdverschulden und der herbei gerufene Hausarzt diagnostiziert Selbstmord durch eine Melange aus Haferbrei und Tabletten.
Ein Abschiedsbrief ist nirgends zu finden. Einzig auf dem Schreibtisch liegt ein Exemplar des „Lübecker General-Anzeiger“ vom 2. April 1942. Darin ist ein Frauenname markiert, Julia Bender.
Erzählt wird die Geschichte aus der Rückschau des Selbstmörders während dessen letzter Stunden. Er zieht eine Lebensbilanz, eine Bilanz, die vor allem von einer Person bestimmt wird, Julia Bender.
Im Jahre 1938 absolviert Chris Dudok ein Praktikum bei den Lubecawerken, einer Lübecker Maschinenbaufabrik des Fabrikanten Knollenberg. Dudok soll, widerwillig, die heimische Maschinenbaufabrik seines Vaters in Amsterdam übernehmen. Er beschäftigt sich jedoch lieber mit Literatur und Philosophie, als sich Konstruktionszeichnungen zu widmen.
Die Ingenieurin Julia Bender ist die Assistentin Knollenbergs, dort lernen sie sich kennen. Er verliebt sich in die Ingenieurin. Bei einem ersten gemeinsamen Abendessen gibt sich Julia als Gegnerin des Naziregimes zu erkennen.
Glaub ihnen nichts. Alles Geschriebene ist erlogen. (S. 26)
Julias geliebter Bruder ist Schauspieler. Nach einer Vorstellung in Lübeck, einem Einpersonenstück, verweigert der Darsteller, Andreas Bender, den anwesenden örtlichen Nazigrößen den Gruß. Daraufhin wird er interniert und Julia gerät ins Visier der Nazis.
Auf Druck der Gestapo entlässt Knollenberg Julia am nächsten Tag. Dudok soll persönlich das Kündigungsschreiben überbringen. Er bietet Julia an bei ihm unterzutauchen. Sie erleben ihre einzige gemeinsame Nacht, es ist der 9. Nov. 1938, die sog. “Kristallnacht“.
Julia fleht Dudok an, Deutschland zu verlassen. Er will sie mitnehmen nach Holland, sie lehnt ab, verspricht aber, im nachzufolgen, irgendwann.
Versprich mir ,dass du noch heute abreist, du bringst mich in Gefahr, wenn du bleibst. (S. 59) Dudok reist ab, Julia bleibt zurück.
Das ist der Bruch, der Verrat, an dem Dudok zerbricht. Von diesem Moment an führt er ein falsches Leben.
Er übernimmt die Maschinenfabrik seines kranken Vaters, heiratet, ein Jahr nach seiner Rückkehr aus Lübeck, die Frau, die ihn mit großer Geduld umgarnt, und die er nie wirklich geliebt hat.
Er hatte sie geliebt, ja. Von Zeit zu Zeit. Aus Rücksicht, aus Gewohnheit, aus Hilflosigkeit. (S. 31) Seine Bedingung für die Hochzeit war, dass die Ehe kinderlos bleiben sollte. Diese Welt wollte er niemandem zumuten. Niemals. (S. 73)
Julia bleibt Dudoks Geheimnis. Er redet mit niemandem über sie, auch nicht mit seiner Frau.
In den 60ger Jahren reist Dudok erstmals seit seinem Abschied von Julia, seinem Verrat, wieder nach Deutschland. Er besucht, als mittlerweile erfolgreicher Unternehmer, eine Messe in Frankfurt am Main. Julia ist allgegenwärtig.
Wie befreit man sich von den glücklichsten Monaten seines Lebens? Wie schüttelt man Erinnerungen an Ereignisse ab, die das Leben in ein andere Richtung gezwungen haben, an einen Abschied, der einem die Seele geraubt hat? Wie? (S. 130) Auf dieser Messe begegnet ihm Knollenberg, der bis Julias Tod Kontakt mit ihr hatte. Sie verabreden sich für den Abend. Erst jetzt erhält Dudok Gewissheit über Julias Schicksal.
Julia ist ein berührender, sehr intensiver Roman. Ähnlich wie de Kats bereits auf Deutsch erschienenen Bücher Mann in der Ferne (2003) und Sehnsucht nach Kapstadt (2006) erzählt Otto de Kat eine Geschichte vom Abschied, von Einsamkeit und Schuld. Julia erzählt aber vor allem die Geschichte einer Liebe, einer verlorenen Liebe, die aufgrund der politischen Lage keine Chance hatte, gelebt zu werden.
Otto de Kat ist vor allem ein großer Stilist. Kein Wort ist zuviel in Julia, keines zuwenig. Mit seiner stilistischen Meisterschaft gelingt es de Kat, die Fallstricke des Kitsches zu umgehen, die in dieser Geschichte durchaus lauern. Stefan Geyer
Otto de Kat, Julia, Insel Verlag 978-3-458-17465-3 € 19,80
Mensch Herr Grossner,
das ist ja `n Ding. Und ich nehm`s Ihnen übel, echt. Da stülpen Sie also die Taschen nach Außen (das ist nicht schlimm, glauben Sie mir, ist mir schon passiert und anderen auch), und spielen Nackten Mann, dem man nicht in die Taschen greifen kann. Ohne Moos nix los, sagt Volkes Mund. Bloß blöd, dass Sie zuvor vollen Mundes Anderes gelobt hatten, die Rettung des Zentrums deutschen Geisteslebens nämlich, des Suhrkamp Verlags. Nicht mehr und nicht weniger. Dieser wollte nicht gerettet werden, schon gar nicht von Ihnen. Egal, das deutsche Feuilleton hatte seinen Spaß, so Einen wie Sie hatte die schreibende Zunft schon lange nicht mehr vor der Feder; größenwahnsinnig, vollmundig, innovativ modernste Kommunikationstechniken nutzend. Auch über UBU (Ihre großartige Schöpfung, dieses SMS-Kürzel) haben Sie sich mitfühlend Gedanken gemacht: „UBU auch Mensch“. Das hat Grönemeyersche Qualität, Herr Grossner (vielleicht sollten Sie sich bei der deutschen Poptröte bewerben, als Texter versteht sich – Nichtsingen kann Grönemeyer alleine. Aber ich glaube, der schreibt auch seine Texte selbst). Wär` doch was!
Aber ich schweife ab (Sie kennen das, Herr Grossner). All das oben Genannte nehm` ich Ihnen nicht übel, es gibt schließlich ein Recht auf Dummheit. Übel nehme ich Ihnen, Herr Grossner, dass all dies passiert während ich mit meiner Holden zum Zwecke der Rekonvaleszenz und Kontemplation an fernen Gestaden weile, jeden Kontakt zu mitteleuropäischen Belangen bewusst meidend. Ich hatte also keine Ahnung, dass der AC Milan, dieser unsägliche Berlusconi Club (Berlusconi, Herr Grossner, haben Sie den schon mal.., ich meine, der hat`s doch, und jetzt noch mehr.. aber nein, das traue ich nicht mal Ihnen zu...), also, dass dieser Club die Champions League gewonnen hat, gewonnen Herr Grossner. Das wusste ich nicht und auch nicht, dass der Club, der 1 FC Nürnberg, das Deutsche Pokalfinale gewonnen hat, gewonnen Herr Grossner! Mein Freund L hat`s mir dann sehr bildhaft erzählt, inklusive aller Fouls und so, war auch schön. All dies wusste ich nicht, war auch egal. Aber ich wusste plötzlich, wo all das schöne Geld geblieben ist, mit dem Sie UBU unter die Arme greifen wollten oder so. Sie haben meinen, ebenfalls an dieser Stelle geäußerten, Vorschlag befolgt und den, ich glaub`s nicht, 1 FC St.Pauli gerettet. Die sind aufgestiegen Herr Grossner, zweite Liga! Keiner hät`s geglaubt zur Halbzeit, keiner! Und alles wegen Ihnen, Herr Grossner, das nötigt mir dann doch eine gehörige Portion Respekt ab, Herr Grossner (ich sag`s auch nicht weiter, dass das ursprünglich meine Idee war. Steht Ihnen bestimmt prima, das braune Retter T-Shirt!). Der Weltpokalsiegerbesieger in der 2. Liga! Ist nicht erste Kulturliga, aber zweite Fußballbundesliga ist sehr ehrenwert (interessiert auch mehr Menschen!). Und Fußball hat `ne Menge mit Kultur zu tun, glauben Sie mir.
Ist natürlich schade, dass es jetzt wieder nichts ist, mit Suhrkamp Büchern auf Rabatt oder für lau. Dann geht`s halt wieder in die Buchhandlung (Hamburg soll ja einige sehr schöne haben) zum vollen, preisgebundenen, Obolus. In der Schweiz ist ja der feste Buchpreis mittlerweile gesetzlich in die Limmat, oder sonst wohin, gekippt... aber ich fürchte, Sie wollen in der momentanen Situation gar nichts Näheres über das Alpenland hören!
Lästig sind natürlich all die neugierigen Schreiberlinge, die gerne wieder O-Ton von Ihnen hätten und Sie nicht erreichen. Also, wenn Sie sich verdrücken wollten, ich wüsste da was. Touristisch eher peripher behandelt und daher überaus preiswert, ohne gleichzeitig niveaulos zu sein. Wetter ist auch ok. Der Erholungswert ist beträchtlich.
Was macht eigentlich der Herr Barlach?
Besorgt,
Ihr Geyst
P.S. Und für Ihre 200-bändigen Memoiren finden Sie sicher auch noch einen Verleger.
Mittwoch / 2. Mai 2007 / 21.00 Uhr
Gaststätte Klabunt
Bergerstraße 228
Tel.: 069 94598140
Verena & Wolfgang Packhäuser
Freie Schauspieler, Wiesbaden
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Vladimir Sorokin
Die Schlange
UK 5.99
Die Presse über die "Die Schlange":
Eines der eigenwilligsten und frechsten Werke, die in der russischen
Literatur der letzten Jahre erschienen sind... Die Liebesszene muß in der
Literatur als einzigartig gelten.
Süddeutsche Zeitung
Sorokin entlockt der Alltagsbanalität Farbigkeit und Witz neben Bosheit
und Niederträchtigkeit... ein wahres Kunststück der Absurdität.
Neue Zürcher Zeitung
Vladimir Sorokin wurde 1955 in Moskau geboren. Nach dem Studium der
Petrochemie arbeitete er als Buchillustrator, bevor er Ende der siebziger
Jahre erste literarische Anerkennung erfuhr. Berühmt wurde er mit dem
Roman "Die Schlange",der in zehn Sprachen übersetzt wurde. Sorokin
schrien zahlreiche Romane, Erzählungen, Theaterstücke. Sorokin gilt neben
Pelewin als wichtigster russischer Gegenwartsautor.
Wolfgangs Welt
Eine großartige Romantrilogie: „Buddy Holly auf der Wilhelmshöhe“
Von Jürgen Lentes
Es mutet schon seltsam an, wenn ein Schriftsteller von zwei so unterschiedlichen Schreibern wie Peter Handke und Willi Winkler seine Credits bekommt. Der heilige Peter: „Dieser Autor ist einerseits ein großer Verehrer von Hermann Lenz... und andererseits ist er der größte Verehrer von Buddy Holly. Und aus diesen zwei Polen, Buddy Holly und Hermann Lenz, bestehen eigentlich alle seine Bücher.“ Griffiger ist da schon Willi Winkler, wenn er Wolfgang Welt als den „größten Erzähler des Ruhrgebiets“ anpreist. Nun, ab und an scheint es ja noch so etwas wie Gerechtigkeit im sich permanent beschleunigenden Literaturbetrieb zu geben, gar für lebende Autoren. 1986 erscheint das erste Buch Welts, „Peggy Sue“, im Konkret Literatur Verlag und wird zum Flop. 1977 erschien der Roman mit einem Vorwort von Leander Haußmann noch einmal als Heyne Taschenbuch. Der zweite Roman, „Der Tick“, 2001 ebenda. Dann war Funkstille. Nun sind beide Romane mit einem dritten, dem bisher unveröffentlichten „Der Tunnel am Ende des Lichts“, nebst einigen Prosastücken, als Taschenbuch bei Suhrkamp erschienen. Da wollte Wolfgang Welt schon in den frühen achtziger Jahren veröffentlichen. Wolfgang Welt heißt wirklich Wolfgang Welt und wird Silvester 1952 in Bochum geboren. Er wächst dort in kleinen Verhältnissen in der Zechensiedlung Wilhelmshöhe auf. Fußball ist wichtig. Buddy Holly wird auch wichtig und damit die Liebe zur Musik. Er studiert. Er bricht das Studium ab. Er rutscht in den Musikjournalismus hinein. Erst für ein wichtiges lokales Blatt der Ruhrpotts, das „Marabo“, dann kommen „Musik Express“ und „Sounds“ hinzu. Er erschreibt sich schnell einen Namen mit seinen radikalsubjektiven Texten. Aus einer Pressekonferenz mit Helen Schneider fliegt er raus, weil er die Chuzpe hat zu ihr sagen: „You killed six of my favourite songs“. Seine Heinz Rudolf Kunze-Hinrichtung ist legendär: Welt als kleiner Hunter S. Thompson, oder „der wichtigste Musikjournalist des Ruhrgebiets“. Er arbeitet manisch, immer unter Strom, immer unterwegs. Aber das Geld reicht vorne und hinten nicht zum Leben. Also zieht er wieder zurück zu seinen Eltern. Welts Texte erinnern an die eines Jörg Schröder. Welt schreibt eins zu eins, ohne geringste Rücksicht auf andere oder gar sich selbst zu nehmen. „Peggy Sue“ hat er an zwanzig Nachmittagen geschrieben, verteilt über sechs Wochen. Kunstvolle Romane wollte er sicher nicht verfassen, aber herausgekommen ist sie dann eben doch, eine „... ’authentische’ Kunst, um das inflationäre Wort einmal zu gebrauchen“ (Stefan Geyer). Auch wenn Welt zusehends „vom Hölzken auf Stöcksken“ kommt, geschwätzig wirkt seine Prosa nie. Ebenso schnell und direkt wie hier aus einem rastlosen Leben erzählt wird, genauso schnell und direkt wird man von diesem „Steam of Unconsciousness“, so Welt über seinen Schreibstil, gepackt. Diese Atemlosigkeit steigert sich unaufhörlich, denn diese Texte sind auch, neben aller Komik, eine bedrückende Reise in den Wahnsinn. Was würden Sie von sich denken, wenn Sie genau wüßten, was Sie vor zehn Jahren und drei Tagen so gemacht, wen Sie getroffen haben? Welt weiß es immer, auch ohne Notizbücher. Im zweiten Roman tauchen dann die ersten konkreten Symptome einer Erkrankung auf: Welt fühlt sich beobachtet und verfolgt. Als er sein Studium pro forma wieder aufnimmt, beginnt er Vorlesungen zu stören. Das steigert sich unaufhörlich. Welt vollzieht die heroische Tat der Zerlegung eines Tschibo-Ladens. Er verfolgt den ZEIT-Kritiker Benjamin Henrichs, bietet ihm eine Kroll-Oper für Stalin-Orgeln an und legt sich „...in das Bett, in dem sich Benjamin Henrichs immer einen runterholte, wenn er Bernhard Minetti im Schauspielhaus erlebt hatte.“ Er packt eine Ausgabe der WAZ in das Eisfach des Kühlschranks, damit er sie als gefrorene Waffe benützen kann. Soll er Altkanzler Helmut Schmidt das „Blaue Album“ der Beatles auf den Kopf hauen? Nahe genug dran ist er jedenfalls, „Brecht sein Leben“ als Buch hat er zur Sicherheit ja auch noch dabei. Lieber nicht. Dann hält er sich für J. R. Ewing, seine Mutter für Marilyn Monroe und seinen Vater für Herbert Wehner. Er wird in die Psychiatrie eingewiesen und als ungeheilt entlassen, Diagnose: Depression in Verbindung mit Schizophrenie. Das war 1983. Seitdem muß er Lithium nehmen. Seit den neunziger Jahren arbeitet Welt als Nachtportier am Bochumer Schauspielhaus. 2002 erhielt er ein Stipendium der Herrmann-Lenz-Stiftung und kürzlich ein Arbeitsstipendium des Landes NRW. Welt wird weiterschreiben. Und er macht sich ab und an zu Lesungen auf. Den Ruhrpott wird er Ende Januar verlassen, um am Abend des 25. Januar in der Frankfurter Gaststätte „Klabunt“ (das ist die mit der schönsten Wirtin, dem freundlichsten Wirt, der besten jungen Frankfurter Küche und den ausgefallensten Schnäpsen), auf der Bergerstraße 228, zu lesen. Spät, aber hoffentlich nicht zu spät startet Wolfgang Welt noch einmal durch. Gemächlicher. Viele Leser wünscht man ihm ohnehin. Aber bitte zu Lebzeiten.
Wolfgang Welt, Buddy Holly auf der Wilhelmshöhe, Drei Romane, Suhrkamp Taschenbuch 3776, 2006, 489 Seiten, 15 €
Jetzt ist wieder Musike drin in der Suhrkamp Soap. Das Thema findet noch immer prominente Plätze in der seriösen Presse, aber auch in Bild (seitenfüllend!). Ab 1. Januar sind die beiden Hamburger Investoren offizielle Eigner der Medienholding AG Winterthur, die 29 Prozent an dem Frankfurter Verlag hält.
Der Tagesspiegel vom letzten Sonntag (07.01.07) hat ein besonders hübsches Exponat von Herrn Grossner (von Barlach, Conradi und Joachim Unseld hört man gar nichts mehr) vorzuweisen, eine Neujahrsglückwunschkarte, die in ihrer Anmutung an Welterklärungs-darstellungen der Zeugen Jehovas gemahnt, oder auch an Scientology (man sollte drauf achten, ob Herr Grossner am kommenden Samstag der Eröffnung der Berliner Repräsentanz der Sekte beiwohnt. Die Welt retten wollen ja beide! Und Kohle machen, klar!). Die Glückwunschkarte zeigt in der unteren Hälfte ein Kommandozentrum, nicht unähnlich dem eines Atomkraftwerks, schwarz-weiss-naiv. In der rechten oberen Hälfte sehen wir eine von der Sonne großzügig bestrahlte Villa. Unschwer zu erraten; Grossners Villa am Alsterstand . In der linken Ecke dann eine Weltkarte, Europa schwarz, der Rest weiß. Eine Fahne der Medienholding AG Winterthur steckt irgendwo knapp über Mexiko. Darunter dann die 3 Begriffe, mit denen Grossner so gerne um sich schmeißt: Wissen Weltethos Weltzukunft 99 (die Karte war wohl früher schon mal im Einsatz), weiter zu sehen: ein dämlich grinsender Delphin, der mit einer Weltkugel spielt sowie eine Heuschrecke (ich vermute, für eine Heuschrecke ist Herr Grossner zu dumm). Als begnadeter SMS Schreiber hat sich der Hamburger ja auch hervorgetan, wie dem Spiegel zu entnehmen war („..., hope2 c U 2m @ Kleist-Preis“).
Lassen wir Grossner und Co. sich ruhig weiter lächerlich machen, genug Gelegenheit haben sie noch. Die Gerichte haben das Wort und das kann dauern.
Es ist an der Zeit über das Suhrkamp Programm zu reden. Die Vorschauen sind da, schlicht und schön. Man war ja neugierig, aber, ich schwöre, kein einziges Buch über Hexen! Ehrlich! Statt dessen ein typisches Suhrkamp Programm, souverän und unvergleichbar. Bekannte Namen (Beck, Begley, Bernhard, Handke, Hesse, Kluge, Koeppen, Treichel) neben weniger oder gar gänzlich unbekannten. Dem oft wiederholten Vorwurf, Suhrkamp hätte keine neuen deutschen Autoren, tritt der Verlag in diesem Frühjahrsprogramm besonders eindringlich entgegen. Gleich vier (!) Autorinnen und Autoren finden mit ihren ersten oder zweiten Büchern Platz im Hauptprogramm des Verlages. Kevin Vennemann (29), Ariane Breidenstein (32), Paul Brodowsky (26), Thomas Melle (31) – man darf gespannt sein, wenn auch die Gefahr besteht, dass sich diese Autoren gegenseitig im Wege stehen. Einen Reader nebst CD zu diesen Autoren hat der Verlag produziert, sein Anliegen zu verdeutlichen. Das Vorwort zu diesem Reader verirrt sich allerdings etwas im sprachlichen Nirvana.
Letztendlich Marginalien, solche Ausrutscher. Das Programm machen sie nicht schlechter. Kein zweiter deutscher Verlag hat ein solches ausgeprägtes Osteuropaprogramm. Hier waren in der Vergangenheit oft die größten Entdeckungen zu machen. Erinnert sei an Juri Andruchowitsch oder Attila Bartis. Im Frühjahr freuen wir uns auf einen Roman des jungen Polen Wojciech Kuczok mit dem schönen Titel „Dreckskerl“. Oder auf einen Band mit Erzählungen und Fragmenten von Zygmunt Haupt in der schönsten Reihe, die es auf dem deutschen Buchmarkt gibt, der Bibliothek Suhrkamp.
Ist der Verlag Schuld an der ihm in letzter Zeit oft vorgeworfenen angeblichen Bedeutungslosigkeit. Kann ein Verlag Schuld sein an der zunehmenden Verdummung einer Gesellschaft. Kann ein Verlag verantwortlich sein für den Erfolg solcher Figuren wie BohlenDaddelNaddelWaddeletcpp....? Ist Suhrkamp Schuld an der grassierenden Utopiemüdigkeit? Mit dem Band „Und jetzt?“ versucht der Verlag nichts anderes als eine Bestandsaufnahme über Protest und Propaganda am Anfang des 21. Jahrhunderts. Und wo? In der edition suhrkamp, dieser schon oft totgesagten Reihe, die wie keine andere den Begriff der „Suhrkamp Kultur“ repräsentiert. Ebenfalls in der edition ein Band mit Arbeitsreportagen für die Endzeit, „Schicht!“ Die Liste der Beiträger liest sich wie ein Who is Who der zeitgenössischen deutschen Literatur; von Wilhelm Genazino über Thomas Kapielski und Oliver Maria Schmitt bis zu Juli Zeh, um nur einige zu nennen.
Dieses Programm zeugt von einem quicklebendigen, selbstbewussten Verlag, der weiß wo er herkommt und auch wo er hinwill.
Und Herr Grossner weiß das natürlich auch alles genau. Hope, not 2 c U @ SV!
Suhrkamp 2
Die Daily Soap um den Suhrkamp Verlag hat sich in eine Weekly Soap verwandelt. Aus der Tagespresse ist das Thema weitgehend verschwunden, hat dafür Platz gefunden in Magazinen und Zeitschriften. So war im Börsenblatt des Deutschen Buchhandels (48-2006) ein zweiseitiges Portrait des Hamburger Investors Claus Grossner zu lesen. Und, mit Verlaub, nach der Lektüre lässt sich gut verstehen, daß der Verlag dessen Engagement mit rechtlichen Mittel zu verhindern sucht. Grossner firmiert unter „Großforschungs- und Informationsbureau“. (Diesen Begriff unterstreicht meine Rechtschreibprüfung, aber, ich kann ja nichts dafür, Grossner will es so). Diese „Bureau“ beschäftigt sich mit nichts Geringerem als WWW (nein, nicht was Sie jetzt denken). Diese drei „W“ stehen für „Wissen“, „Weltethos“ und „Weltzukunft“. Für diese hehren Ziele reicht ein einfaches „Büro“ sicher nicht aus (In Berlin betreibt Grossner übrigens ein „Office“, in der Meinekestraße. Das ist unweit von Suhrkamps Berliner Repräsentanz. Vielleicht trifft man sich ja mal zufällig auf der Straße). Diesen bescheidenen Ansprüchen ordnet Grossner sogar die eigene Bequemlichkeit unter – er verzichtet auf ein Bett, schläft wahrscheinlich im Sessel (soweit vorhanden) oder im Auto (vorhanden). Na gut, die sechs Stunden Schlaf, die er sich gönnt, kriegt man auch irgendwie rum. Die restlichen achtzehn Stunden widmet er sich, tomatensafttrinkend, seinen Zielen, „sehr schnell, sehr präzise“. Kein Zweifel, der Mann will die Welt retten. Diesem Ziel hat er sein Leben untergeordnet, und dieses Leben hat er in 200 (!) blauen Büchern dokumentiert. Ich freue mich schon auf die Gesamtausgabe im Suhrkamp Verlag.
Da Herr Grossner für die „Bunte“ nicht zu sprechen ist, hat sich dieses Magazin (49 – 2006), das sich normalerweise ja nur dafür interessiert, mit wem Boris Becker in die Besenkammer steigt, auf „Spurensuche“ begeben. Da Ulla Unseld-Berkéwicz ebenfalls nicht für die Bunte zu sprechen war, wurden andere gebeten, bei der Spurensuche zu helfen, was allerdings nicht sehr ergiebig ist. Joachim Unseld, der verstoßene Sohn Siegfried Unselds, Bodo Kirchhoff, ehemaliger Suhrkamp Autor und jetzt in der Frankfurter Verlagsanstalt bei Joachim Unseld unter Vertrag, der Theaterregisseur Jürgen Flimm, der einst mit Ulla Berkéwicz, als sie noch der Schauspielerei nachging, inszeniert hat. Ferner Martin Walser, ebenfalls ehemaliger Suhrkamp Autor, dessen, des Antisemitismus verdächtigter, Roman „Der Tod eines Kritikers“ einst ein mittleres Erdbeben bei Suhrkamp auslöste. Walser wundert sich, daß sich noch keine Suhrkamp Autoren in der Sache geäußert hätten. Nun, dies ist geschehen, vor Erscheinen der Bunte. Mehrere namhafte Autoren und Autorinnen haben sich mittlerweile auf die Seite der Suhrkamp Verlegerin (auch dieses Wort unterstreicht meine Rechtschreibprüfung. Sind Verlegerinnen im Deutschen nicht vorgesehen?)gestellt. Darunter Peter Sloterdijk, Peter Handke, Katharina Hacker, Christoph Hein, Adolf Muschg, Hans-Ulrich Treichel, Durs Grünbein, Michael Krüger, Ulrich Beck, Thomas Meineke u.v.a.m. Auch Marcel Reich-Ranicki wurde von der Bunten befragt und hat den einzig substanziellen Beitrag geliefert, der es verdient, zitiert zu werden. „Kein Wort. Ich äußere mich nicht zu diesem Fall. Sie müssen woanders suchen. Nur ein Idiot wird etwas sagen.“ Hat MRR da geahnt, wen er alles als Idiot bezeichnet? Steht uns ein neuer Literaturskandal ins Haus?
Zwei Dinge sind und bleiben rätselhaft. Was ist die Motivation von Grossner und Barlach? Und weshalb die aufgeregten Reaktionen von Seiten des Verlages?
Und den Herren aus Hamburg sei auch hier wieder ein anderes Betätigungsfeld anempfohlen. Es sieht so aus, als ob nicht nur der FC St.Pauli Hilfe gebrauchen könnte, sondern auch der HSV. Vielleicht ein neuer Torwart und ein bis zwei neue Stürmer. Allerdings ist mir nicht bekannt, ob`s beim HSV auch ein T-Shirt gibt. Aber sicherlich einen lebenslangen Platz in der VIP Lounge.
Jetzt zerreißt sich das Feuilleton wieder. Das ist ja auch ein gefundenes Fressen für die schreibende Zunft. Immer wenn bei Suhrkamp ein Mülleimer umfällt, gilt es die Feder zu spitzen. Diesmal scheint allerdings ein ganzer Laster umgekippt zu sein. Also braucht man ein paar mehr Federn. Wenn die gerade nicht zur Hand sind, wird halt abgeschrieben. So habe ich jetzt schon mehrfach in verschiedenen Gazetten, die nicht müde werden, die berühmten Autoren des Verlages aufzuzählen, lesen dürfen, daß Umberto Eco dazuzählt. Die Bücher, die ich von Eco gelesen habe, sind bei Hanser erschienen. Das ist ein anderer, auch sehr guter Verlag, in München beheimatet (Der Verleger des Hanser Verlags ist übrigens Suhrkamp Autor!).
Ich habe mir die Mühe gemacht, die aktuellen Bestsellerlisten zu studieren. Unter den Top 50 finden sich immerhin sieben Bücher, die im Suhrkamp Verlag erschienen sind. Natürlich mit Katharina Hacker, Die Habenichtse, an der Spitze der Belletristikliste (was mich freut, ist ein tolles Buch, und so gar nicht massenkompatibel. Und außerdem kommt mein Lieblingsitaliener in Berlin drin vor.). Dann geht es weiter mit der unerläßlichen Isabel Allende, Mein erfundenes Land. In der Sachbuchliste finden sich gleich drei Suhrkamp Autoren: Peter Sloterdijk, Zorn und Zeit, Thomas Friedman, Die Welt ist flach (sollte jeder, jede lesen, der,die sich z.B. mit solchen Sachen wie Blogs beschäftigt) und schließlich der Erfinder des Begriffs "Suhrkamp Kultur", George Steiner, Warum Denken traurig macht (Vielleicht nehmen deshalb so einige Feuilletonisten Abstand von dieser Tätigkeit). In den Taschenbuchlisten dann ein Megaseller, den der Insel Verlag, der ja bekanntlich zu Suhrkamp gehört, erst bekannt gemacht hat, Carlos Ruiz Zafón, Der Schatten des Windes. Davon soll Insel und Suhrkamp inzwischen weit über eine Million Exemplare verkauft haben (Wer`s noch nicht gelesen hat, sollte das nachholen. Es ist ja bald Weihnachten.). Und dann noch das großartige Buch von Amos Oz, Eine Geschichte von Liebe und Finsternis. Bei meiner sonntäglichen Zeitunglektüre sind mir gestern gleich zwei große Artikel über Suhrkamp Autoren in`s Auge gefallen. Der Tagesspiegel aus Berlin hat in seiner gestrigen Sonntagsbeilage eine ganze Seite für Lily Brett, ihr neues Buch Chuzpe sowie die darin versammelten Klops Rezepte, freigemacht. Und in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung fand sich im Feuillleton ein über halbseitiges Interview mit Louis Begley, ebenfalls seit Jahren Suhrkamp Autor (Lügen in Zeiten des Krieges), von dem anscheinend demnächst ein neuer Roman zu erwarten ist, im Suhrkamp Verlag. Soviel zur angeblich mangelnden Substanz des Verlages!
Kein Wunder, wenn sich da bei einigen Hamburger Investoren, die sich anschicken die Welt zu retten und damit bei Suhrkamp anfangen wollen, Begehrlichkeiten regen. Für`s Image scheint der Verlag noch zu taugen. Sollen lieber den FC St. Pauli retten. Da gibt`s dann auch ein hübsches T-Shirt.