Wolfgang Welt

Wolfgangs Welt

Eine großartige Romantrilogie: „Buddy Holly auf der Wilhelmshöhe“

Von Jürgen Lentes

Es mutet schon seltsam an, wenn ein Schriftsteller von zwei so unterschiedlichen Schreibern wie Peter Handke und Willi Winkler seine Credits bekommt. Der heilige Peter: „Dieser Autor ist einerseits ein großer Verehrer von Hermann Lenz... und andererseits ist er der größte Verehrer von Buddy Holly. Und aus diesen zwei Polen, Buddy Holly und Hermann Lenz, bestehen eigentlich alle seine Bücher.“ Griffiger ist da schon Willi Winkler, wenn er Wolfgang Welt als den „größten Erzähler des Ruhrgebiets“ anpreist. Nun, ab und an scheint es ja noch so etwas wie Gerechtigkeit im sich permanent beschleunigenden Literaturbetrieb zu geben, gar für lebende Autoren. 1986 erscheint das erste Buch Welts, „Peggy Sue“, im Konkret Literatur Verlag und wird zum Flop. 1977 erschien der Roman mit einem Vorwort von Leander Haußmann noch einmal als Heyne Taschenbuch. Der zweite Roman, „Der Tick“, 2001 ebenda. Dann war Funkstille. Nun sind beide Romane mit einem dritten, dem bisher unveröffentlichten „Der Tunnel am Ende des Lichts“, nebst einigen Prosastücken, als Taschenbuch bei Suhrkamp erschienen. Da wollte Wolfgang Welt schon in den frühen achtziger Jahren veröffentlichen. Wolfgang Welt heißt wirklich Wolfgang Welt und wird Silvester 1952 in Bochum geboren. Er wächst dort in kleinen Verhältnissen in der Zechensiedlung Wilhelmshöhe auf. Fußball ist wichtig. Buddy Holly wird auch wichtig und damit die Liebe zur Musik. Er studiert. Er bricht das Studium ab. Er rutscht in den Musikjournalismus hinein. Erst für ein wichtiges lokales Blatt der Ruhrpotts, das „Marabo“, dann kommen „Musik Express“ und „Sounds“ hinzu. Er erschreibt sich schnell einen Namen mit seinen radikalsubjektiven Texten. Aus einer Pressekonferenz mit Helen Schneider fliegt er raus, weil er die Chuzpe hat zu ihr sagen: „You killed six of my favourite songs“. Seine Heinz Rudolf Kunze-Hinrichtung ist legendär: Welt als kleiner Hunter S. Thompson, oder „der wichtigste Musikjournalist des Ruhrgebiets“. Er arbeitet manisch, immer unter Strom, immer unterwegs. Aber das Geld reicht vorne und hinten nicht zum Leben. Also zieht er wieder zurück zu seinen Eltern. Welts Texte erinnern an die eines Jörg Schröder. Welt schreibt eins zu eins, ohne geringste Rücksicht auf andere oder gar sich selbst zu nehmen. „Peggy Sue“ hat er an zwanzig Nachmittagen geschrieben, verteilt über sechs Wochen. Kunstvolle Romane wollte er sicher nicht verfassen, aber herausgekommen ist sie dann eben doch, eine „... ’authentische’ Kunst, um das inflationäre Wort einmal zu gebrauchen“ (Stefan Geyer). Auch wenn Welt zusehends „vom Hölzken auf Stöcksken“ kommt, geschwätzig wirkt seine Prosa nie. Ebenso schnell und direkt wie hier aus einem rastlosen Leben erzählt wird, genauso schnell und direkt wird man von diesem „Steam of Unconsciousness“, so Welt über seinen Schreibstil, gepackt. Diese Atemlosigkeit steigert sich unaufhörlich, denn diese Texte sind auch, neben aller Komik, eine bedrückende Reise in den Wahnsinn. Was würden Sie von sich denken, wenn Sie genau wüßten, was Sie vor zehn Jahren und drei Tagen so gemacht, wen Sie getroffen haben? Welt weiß es immer, auch ohne Notizbücher. Im zweiten Roman tauchen dann die ersten konkreten Symptome einer Erkrankung auf: Welt fühlt sich beobachtet und verfolgt. Als er sein Studium pro forma wieder aufnimmt, beginnt er Vorlesungen zu stören. Das steigert sich unaufhörlich. Welt vollzieht die heroische Tat der Zerlegung eines Tschibo-Ladens. Er verfolgt den ZEIT-Kritiker Benjamin Henrichs, bietet ihm eine Kroll-Oper für Stalin-Orgeln an und legt sich „...in das Bett, in dem sich Benjamin Henrichs immer einen runterholte, wenn er Bernhard Minetti im Schauspielhaus erlebt hatte.“ Er packt eine Ausgabe der WAZ in das Eisfach des Kühlschranks, damit er sie als gefrorene Waffe benützen kann. Soll er Altkanzler Helmut Schmidt das „Blaue Album“ der Beatles auf den Kopf hauen? Nahe genug dran ist er jedenfalls, „Brecht sein Leben“ als Buch hat er zur Sicherheit ja auch noch dabei. Lieber nicht. Dann hält er sich für J. R. Ewing, seine Mutter für Marilyn Monroe und seinen Vater für Herbert Wehner. Er wird in die Psychiatrie eingewiesen und als ungeheilt entlassen, Diagnose: Depression in Verbindung mit Schizophrenie. Das war 1983. Seitdem muß er Lithium nehmen. Seit den neunziger Jahren arbeitet Welt als Nachtportier am Bochumer Schauspielhaus. 2002 erhielt er ein Stipendium der Herrmann-Lenz-Stiftung und kürzlich ein Arbeitsstipendium des Landes NRW. Welt wird weiterschreiben. Und er macht sich ab und an zu Lesungen auf. Den Ruhrpott wird er Ende Januar verlassen, um am Abend des 25. Januar in der Frankfurter Gaststätte „Klabunt“ (das ist die mit der schönsten Wirtin, dem freundlichsten Wirt, der besten jungen Frankfurter Küche und den ausgefallensten Schnäpsen), auf der Bergerstraße 228, zu lesen. Spät, aber hoffentlich nicht zu spät startet Wolfgang Welt noch einmal durch. Gemächlicher. Viele Leser wünscht man ihm ohnehin. Aber bitte zu Lebzeiten.

Wolfgang Welt, Buddy Holly auf der Wilhelmshöhe, Drei Romane, Suhrkamp Taschenbuch 3776, 2006, 489 Seiten, 15 €

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