„Aufhören!“, schreit der aktuelle Spiegel die Kanzlerin und den Außenminister an. Er tut dies, in seltener Einmütigkeit mit der TAZ, Bild, FAZ u.s.w. Es heißt, nur noch ein Wunder könne die Regierung retten, das Wunder von Südafrika. Manch einer führt wieder das Wort vom Sommermärchen im Mund, nach einem einzigen, zugegebenermaßen, sehr guten Spiel gegen eine allerdings schwache Mannschaft.
„Aufhören!“ möchte man auch der einen oder anderen Fußballmannschaft da unten am Kap zurufen. Es ist oft nur schwer erträglich, wie bei dieser WM rumgekickt wird. Ich schau mir das alles dennoch an, denn ich mag Fußball. Was allerdings der mühevolle Sieg Brasiliens gegen die Nord-Koreaner mit Osama Bin Laden zu tun hat, bleibt ein Geheimnis von T-Online.
Wie gesagt, ich mag Fußball, dennoch bin ich froh, wenn diese WM endlich vorbei ist. Es ist nicht auszuhalten, nicht nur diese teilweise unsäglichen Spiele, sondern auch das Geschrei, das seit Monaten aus allen Medien schallt. Für jeden Blödsinn wird mit Fußball geworben, Katzenfutter, Autos, Gummibärchen, Bratwürste, Autoscheibenreparaturbetriebe und jede Menge anderes Zeug.
Der Abflug der Mannschaft nach Süd-Afrika im A 380 ist die Topmeldung der Abendnachrichten und über nichts wird sich mehr erbost, als über eine billige Plastiktröte. Das Gerede über das Spielzeug ist mittlerweile schwerer zu ertragen, als der Krach, den das Ding in der Lage ist, zu erzeugen. Und, mit Verlaub, Fangesänge sind nicht per se ein Ohrenschmaus, die Texte oft schon gar nicht. Wir sollten dankbar sein für die Vuvuzela.
Recht infantil scheint es auch, wenn sich erwachsene Menschen Fähnchen auf die Backe malen, Trikots anziehen, lustige Hüte oder bunte Perücken aufsetzen und in der Kneipe, beim gemeinsamen Fußballgucken, aufstehen, wenn die Nationalhymne erklingt. Ich hänge mir kein Fähnchen ans Fahrrad. Aber, so ganz konnte ich mich dem kollektiven Wahn doch nicht entziehen. Wenn alle Flagge zeigen, wollte ich nicht außen vor stehen und stellte ebenfalls eine kleine Fahne auf die Fensterbank, die Fahne von Grönland. Eine andere besitze ich nicht.
In Grönland wird auch Fußball gespielt, ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Es gibt dort eine Liga und eine Nationalmannschaft, der Deutsche Sepp Piontek war einst ihr Trainer. Das Land ist nicht in der FIFA da es ein Teil Dänemarks ist, weitgehende Autonomie hin oder her. Aber das nur nebenbei.
„Football For Hope – Builds A Better Future“ ist hin und wieder zwischen Adidas und McDonalds auf den Werbebannern der WM-Stadien zu lesen. Diese bessere Zukunft sieht dann beispielsweise so aus, wie nach dem Spiel Deutschland vs. Australien. Hunderte von Ordnern demonstrierten nach dem Spiel, weil ihnen nur ein Bruchteil der zugesagten Entlohnung ausbezahlt wurde. Die Polizei ging mit Tränengas und Gummigeschossen auf die Demonstranten los. Was die FIFA dazu sagt, ist nicht bekannt.
Gestern fand ich einen Luftpostbrief im Briefkasten, von Hand frankiert. Er stammt aus Durban, South Africa. Die Schulleiterin der Deutschen Schule dort, Frau Ruth Böhmer, bittet mich mit persönlicher Anrede und in freundlichen Worten um eine Spende für die Schule, deren Betrieb sonst gefährdet scheint, selbstverständlich steuerabzugsfähig. Es sind einige Fotos beigelegt, die den Alltag der Schule zeigen. Alles sehr idyllisch dort in Durban. Das Schulgebäude sieht aus wie eine hochwertige Ferienanlage. Auf anderen Bildern sieht man, hauptsächlich weiße, Kinder beim gemeinsamen Essen, Spielen und Lernen. Hartz IV Familien, denen jetzt das Elterngeld gestrichen werden soll, wären sehr glücklich über derartige Lern- und Spielbedingungen für ihre Kinder. Frau Böhmer bittet mich, den beigefügten Überweisungsbeleg „möglichst heute noch“ auszufüllen und zur Bank zu bringen. Der Beleg weist eine „Fördergemeinschaft für kulturelle Arbeit und Bildung im Ausland“ in Herzogenaurach als Empfänger aus. Im Netz ist über diese „Fördergemeinschaft“ außer einem schlichten Telefonbucheintrag, nichts zu finden, keine Website, keine Satzung, kein Vorstand, nichts.
Woher die Deutsche Schule Durban meine Anschrift hat, weiß ich nicht. Aber weshalb dieser Brief ausgerechnet jetzt kommt, ist einleuchtend.
Nach dem Sieg einer jungen Frau aus Hannover bei einem Sangeswettstreit würde ein eventueller Titelgewinn der Fußballer die Deutschen wahrscheinlich völlig ausrasten lassen und Merkel und Westerwelle hätten ihren Spaß. Deshalb, liebe Nationalmannschaft, scheidet doch am besten noch in der Vorrunde aus. Damit würdet Ihr dem Land mehr dienen als mit einem möglichen Titelgewinn.
Und jetzt geh ich Fußball gucken, in Zivil.