Otto de Kat - Julia
An einem Sommernachmittag des Jahres 1981 entdeckt der Chauffeur und “Mädchen für Alles” van Dijk die Leiche seines Chefs, des Fabrikanten Christiaan Dudok, in dessen Arbeitszimmer. Es gibt keine Anzeichen für ein Fremdverschulden und der herbei gerufene Hausarzt diagnostiziert Selbstmord durch eine Melange aus Haferbrei und Tabletten.
Ein Abschiedsbrief ist nirgends zu finden. Einzig auf dem Schreibtisch liegt ein Exemplar des „Lübecker General-Anzeiger“ vom 2. April 1942. Darin ist ein Frauenname markiert, Julia Bender.
Erzählt wird die Geschichte aus der Rückschau des Selbstmörders während dessen letzter Stunden. Er zieht eine Lebensbilanz, eine Bilanz, die vor allem von einer Person bestimmt wird, Julia Bender.
Im Jahre 1938 absolviert Chris Dudok ein Praktikum bei den Lubecawerken, einer Lübecker Maschinenbaufabrik des Fabrikanten Knollenberg. Dudok soll, widerwillig, die heimische Maschinenbaufabrik seines Vaters in Amsterdam übernehmen. Er beschäftigt sich jedoch lieber mit Literatur und Philosophie, als sich Konstruktionszeichnungen zu widmen.
Die Ingenieurin Julia Bender ist die Assistentin Knollenbergs, dort lernen sie sich kennen. Er verliebt sich in die Ingenieurin. Bei einem ersten gemeinsamen Abendessen gibt sich Julia als Gegnerin des Naziregimes zu erkennen. Glaub ihnen nichts. Alles Geschriebene ist erlogen. (S. 26)
Julias geliebter Bruder ist Schauspieler. Nach einer Vorstellung in Lübeck, einem Einpersonenstück, verweigert der Darsteller, Andreas Bender, den anwesenden örtlichen Nazigrößen den Gruß. Daraufhin wird er interniert und Julia gerät ins Visier der Nazis.
Auf Druck der Gestapo entlässt Knollenberg Julia am nächsten Tag. Dudok soll persönlich das Kündigungsschreiben überbringen. Er bietet Julia an bei ihm unterzutauchen. Sie erleben ihre einzige gemeinsame Nacht, es ist der 9. Nov. 1938, die sog. “Kristallnacht“.
Julia fleht Dudok an, Deutschland zu verlassen. Er will sie mitnehmen nach Holland, sie lehnt ab, verspricht aber, im nachzufolgen, irgendwann. Versprich mir ,dass du noch heute abreist, du bringst mich in Gefahr, wenn du bleibst. (S. 59) Dudok reist ab, Julia bleibt zurück.
Das ist der Bruch, der Verrat, an dem Dudok zerbricht. Von diesem Moment an führt er ein falsches Leben.
Er übernimmt die Maschinenfabrik seines kranken Vaters, heiratet, ein Jahr nach seiner Rückkehr aus Lübeck, die Frau, die ihn mit großer Geduld umgarnt, und die er nie wirklich geliebt hat. Er hatte sie geliebt, ja. Von Zeit zu Zeit. Aus Rücksicht, aus Gewohnheit, aus Hilflosigkeit. (S. 31) Seine Bedingung für die Hochzeit war, dass die Ehe kinderlos bleiben sollte. Diese Welt wollte er niemandem zumuten. Niemals. (S. 73)
Julia bleibt Dudoks Geheimnis. Er redet mit niemandem über sie, auch nicht mit seiner Frau.
In den 60ger Jahren reist Dudok erstmals seit seinem Abschied von Julia, seinem Verrat, wieder nach Deutschland. Er besucht, als mittlerweile erfolgreicher Unternehmer, eine Messe in Frankfurt am Main. Julia ist allgegenwärtig. Wie befreit man sich von den glücklichsten Monaten seines Lebens? Wie schüttelt man Erinnerungen an Ereignisse ab, die das Leben in ein andere Richtung gezwungen haben, an einen Abschied, der einem die Seele geraubt hat? Wie? (S. 130) Auf dieser Messe begegnet ihm Knollenberg, der bis Julias Tod Kontakt mit ihr hatte. Sie verabreden sich für den Abend. Erst jetzt erhält Dudok Gewissheit über Julias Schicksal.
Julia ist ein berührender, sehr intensiver Roman. Ähnlich wie de Kats bereits auf Deutsch erschienenen Bücher Mann in der Ferne (2003) und Sehnsucht nach Kapstadt (2006) erzählt Otto de Kat eine Geschichte vom Abschied, von Einsamkeit und Schuld. Julia erzählt aber vor allem die Geschichte einer Liebe, einer verlorenen Liebe, die aufgrund der politischen Lage keine Chance hatte, gelebt zu werden.
Otto de Kat ist vor allem ein großer Stilist. Kein Wort ist zuviel in Julia, keines zuwenig. Mit seiner stilistischen Meisterschaft gelingt es de Kat, die Fallstricke des Kitsches zu umgehen, die in dieser Geschichte durchaus lauern. Stefan Geyer
Otto de Kat, Julia, Insel Verlag 978-3-458-17465-3 € 19,80
Ein Abschiedsbrief ist nirgends zu finden. Einzig auf dem Schreibtisch liegt ein Exemplar des „Lübecker General-Anzeiger“ vom 2. April 1942. Darin ist ein Frauenname markiert, Julia Bender.
Erzählt wird die Geschichte aus der Rückschau des Selbstmörders während dessen letzter Stunden. Er zieht eine Lebensbilanz, eine Bilanz, die vor allem von einer Person bestimmt wird, Julia Bender.
Im Jahre 1938 absolviert Chris Dudok ein Praktikum bei den Lubecawerken, einer Lübecker Maschinenbaufabrik des Fabrikanten Knollenberg. Dudok soll, widerwillig, die heimische Maschinenbaufabrik seines Vaters in Amsterdam übernehmen. Er beschäftigt sich jedoch lieber mit Literatur und Philosophie, als sich Konstruktionszeichnungen zu widmen.
Die Ingenieurin Julia Bender ist die Assistentin Knollenbergs, dort lernen sie sich kennen. Er verliebt sich in die Ingenieurin. Bei einem ersten gemeinsamen Abendessen gibt sich Julia als Gegnerin des Naziregimes zu erkennen. Glaub ihnen nichts. Alles Geschriebene ist erlogen. (S. 26)
Julias geliebter Bruder ist Schauspieler. Nach einer Vorstellung in Lübeck, einem Einpersonenstück, verweigert der Darsteller, Andreas Bender, den anwesenden örtlichen Nazigrößen den Gruß. Daraufhin wird er interniert und Julia gerät ins Visier der Nazis.
Auf Druck der Gestapo entlässt Knollenberg Julia am nächsten Tag. Dudok soll persönlich das Kündigungsschreiben überbringen. Er bietet Julia an bei ihm unterzutauchen. Sie erleben ihre einzige gemeinsame Nacht, es ist der 9. Nov. 1938, die sog. “Kristallnacht“.
Julia fleht Dudok an, Deutschland zu verlassen. Er will sie mitnehmen nach Holland, sie lehnt ab, verspricht aber, im nachzufolgen, irgendwann. Versprich mir ,dass du noch heute abreist, du bringst mich in Gefahr, wenn du bleibst. (S. 59) Dudok reist ab, Julia bleibt zurück.
Das ist der Bruch, der Verrat, an dem Dudok zerbricht. Von diesem Moment an führt er ein falsches Leben.
Er übernimmt die Maschinenfabrik seines kranken Vaters, heiratet, ein Jahr nach seiner Rückkehr aus Lübeck, die Frau, die ihn mit großer Geduld umgarnt, und die er nie wirklich geliebt hat. Er hatte sie geliebt, ja. Von Zeit zu Zeit. Aus Rücksicht, aus Gewohnheit, aus Hilflosigkeit. (S. 31) Seine Bedingung für die Hochzeit war, dass die Ehe kinderlos bleiben sollte. Diese Welt wollte er niemandem zumuten. Niemals. (S. 73)
Julia bleibt Dudoks Geheimnis. Er redet mit niemandem über sie, auch nicht mit seiner Frau.
In den 60ger Jahren reist Dudok erstmals seit seinem Abschied von Julia, seinem Verrat, wieder nach Deutschland. Er besucht, als mittlerweile erfolgreicher Unternehmer, eine Messe in Frankfurt am Main. Julia ist allgegenwärtig. Wie befreit man sich von den glücklichsten Monaten seines Lebens? Wie schüttelt man Erinnerungen an Ereignisse ab, die das Leben in ein andere Richtung gezwungen haben, an einen Abschied, der einem die Seele geraubt hat? Wie? (S. 130) Auf dieser Messe begegnet ihm Knollenberg, der bis Julias Tod Kontakt mit ihr hatte. Sie verabreden sich für den Abend. Erst jetzt erhält Dudok Gewissheit über Julias Schicksal.
Julia ist ein berührender, sehr intensiver Roman. Ähnlich wie de Kats bereits auf Deutsch erschienenen Bücher Mann in der Ferne (2003) und Sehnsucht nach Kapstadt (2006) erzählt Otto de Kat eine Geschichte vom Abschied, von Einsamkeit und Schuld. Julia erzählt aber vor allem die Geschichte einer Liebe, einer verlorenen Liebe, die aufgrund der politischen Lage keine Chance hatte, gelebt zu werden.
Otto de Kat ist vor allem ein großer Stilist. Kein Wort ist zuviel in Julia, keines zuwenig. Mit seiner stilistischen Meisterschaft gelingt es de Kat, die Fallstricke des Kitsches zu umgehen, die in dieser Geschichte durchaus lauern. Stefan Geyer
Otto de Kat, Julia, Insel Verlag 978-3-458-17465-3 € 19,80
Geyst - 19. Mai, 12:36